Adibeli Nduka-Agwu, Antje Lann Hornscheidt (Hrsg.): Rassismus auf gut Deutsch
Rezensiert von Prof. Dr. Gazi Caglar, 31.12.2010
Adibeli Nduka-Agwu, Antje Lann Hornscheidt (Hrsg.): Rassismus auf gut Deutsch. Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen.
Brandes & Apsel
(Frankfurt) 2010.
440 Seiten.
ISBN 978-3-86099-643-0.
39,90 EUR.
CH: 67,00 sFr.
Reihe: wissen & praxis - Transdisziplinäre Genderstudien - 1. Wissen & Praxis - 155.
Thema
„Die Kategorie ‚Rasse‘ ist ein Konstrukt, welches erst durch Rassismus geschaffen wird. Es gibt keine ‚Rassen‘ jenseits rassistischer Zuschreibungen und Herstellungen. ‚Rasse‘ ist somit eine v.a. über sprachliche und visuelle soziale Handlungen geschaffene und immer wieder re_Produzierte Form der bewertenden Klassifizierung von Personen“ (S. 13-14.). Dieses kritische Nachschlagewerk ist eine glänzend recherchierte und theoretisch anspruchsvoll interpretierte Studie zu Sprachhandlungen in deutschsprachigen Gesellschaften, die rassistische Wirklichkeitsvorstellungen erst schaffen. Im Gegensatz zu einschlägigen Lexika und Wörterbüchern, die maßgeblich an der historischen Formung rassistischen „Wissens“ beteiligt waren und daher hier zum Material rassismuskritischer Analysen werden, handelt es sich hierbei um ein wirkliches Nachschlagewerk, das dem Ziel dient, „selbst reflektiert mit Sprache in Bezug auf rassistische Diskriminierung umzugehen“ (S. 45) und über die Brechung des Schweigens zu Rassismus diesen „zu entnormalisieren“ (S. 47).
Diese Publikation ist nicht nur für ein breites Publikum geschrieben, sondern eignet sich sicherlich auch als ein Lehrbuch mit breitem historischen und theoretischen Fundus für die Sozialwissenschaften und darüber hinaus.
Herausgeberinnen
Adibeli Nduka-Agwu studierte Soziale und Politische Wissenschaften an der Cambridge University uns ist McCloy Fellow an der Harvard Kennedy School of Government. Neben anderen Tätigkeiten ist sie auch Co-Chefredakteurin des Harvard Africa Policy Journals.
Antje Lann Hornscheidt ist Professorin für Gender Studies und Sprachanalyse an der Humboldt-Universität Berlin.
Die Stärke des vorliegenden Werkes beginnt gleich zu Beginn der Einführung. Die Herausgeberinnen reflektieren ihren Zugang zum Thema und stellen kategorisch fest: „Weiße können in der Herausgabe eines Buches zu Rassismus immer nur mit Mitherausgeb_erinnen sein. Nur dadurch können strukturelle Formen von Rassismus aufgebrochen und Wahrnehmungen und Autorisierungen zu diesem Thema geändert werden: Denn ebenso wie das gesamte wissenschaftliche Feld ist auch die sichtbar gemachte, dominante und universitär institutionalisierte Forschung zu Rassismus in Deutschland immer noch recht weiß“ (S. 12).
Konsequent dekonstruiert das Nachschlagewerk schließlich nicht nur herrschende Sichtweisen, sondern ermöglicht auch das Einfühlen in die Perspektiven der Rassifizierten.
Aufbau und Inhalt
Die Arbeit ist in insgesamt fünf Kapiteln unterteilt.
In Kapitel 1 (Einführung – Seite 11- 52) stellen die Herausgeberinnen einführend die wesentlichen theoretischen Grundlagen und Zugangsweisen zum Thema dar, die von einem konstruktivistischen Verständnis getragen werden. Die Einführung definiert Rassismus, Weißsein, unterschiedliche Formen der Diskriminierung wie Ethnizismus, Migratismus und Religiosizismus in ihrem Verhältnis zu Rassismus, die Bedeutung des sprachlichen Rassismus usw. Hier wird auch die Kernthese formuliert, deren Geist das ganze Nachschlagewerk prägt: „Jedes Nichteingreifen in rassistische SprachHandlungen ist eine rassistische SprachHandlung“ (S. 43).
Kapitel 2 (Vorstellung empowernder Begriffe, Konzepte und BeNennungen – Seite 53-92) besteht aus fünf Beiträgen unterschiedlicher Autorinnen und Autoren, die sich mit den Begriffen „Afrodeutsch / Afrodeutsch_e“, „Diaspora“, „Nègritude“, „People of Colour“, „Schwarze, Schwarze Deutsche“ beschäftigen. Die Geschichte dieser Begriffe, ihre sozialen Trägerbewegungen und die Enstehungskontexte werden analysiert. Hier wird deutlich, in welcher Dialektik Selbst- und Fremdbenennungen stehen und wie prekär, aber auch wie bedeutsam positive Versuche der Selbstbenennung als sprachliche Widerstandshandlungen in rassistisch strukturierten Gesellschaften sind.
In Kapitel 3 (Analysen konventionalisiert rassistischer Begriffe und BeNennungen – Seite 93-222) geht es um die Analyse herrschender rassistischer Zuschreibungen in Geschichte und Gegenwart. Die Stichworte reichen von „Ausländer_in“ und „Ching Chang Chong“ über „Exotisch“, das „N-Wort“, „Schlitzauge“ und „Schutzgebiet“ bis zu „Verkaffern“ und „Zigeuner“. Am Beispiel von 19 rassistischen Zuschreibungen werden ihre Wirkweisen in historischer wie theoretischer Perspektive untersucht. Immer wird dabei auch deutlich, wie deutschsprachige Lexika von Anfang an der Erzeugung rassistischer Diskriminierung aktiv beteiligt waren.
Kapitel 4 (Analysen von rassistischen Gebrauchsweisen ausgewählter Konzepte – Seite 223-386) analysiert rassistische Verwendungsweisen zahlreicher Konzepte von „Afrika!“, „Amerika“ und „Asien“ über „Ethnizität“, „Europa“, „Islam“, „Orient“ bis „Rasse“, „Sklaverei“ und „Religion“.
Kapitel 5 (Konzepte und Modelle zur Analyse von Rassismus – Seite 387-515) beinhaltet die vielfältigen theoretischen Strategien und Modelle, die bei der Analyse des Rassismus und Kolonialismus Anwendung finden. Critical Whitness Studies, Rassismus und Migratismus, postkoloniale Diskursanalyse finden ebenso einleuchtende Betrachtung wie Rassismus in Bildern oder in Schulbüchern.
Fazit
Das Nachschlagewerk ist klar gegliedert und recht verständlich in Darstellung und wesentlichen Inhalten. Es ist ein großer Gewinn für die deutschsprachige Bücherlandschaft. Und jetzt liegt tatsächlich ein wirklich nutzbares Nachschlagewerk zum Rassismus und seinem Bedeutungsumfeld, nach dessen Erscheinen ruhig auf die vorherrschenden Lexikas verzichtet werden kann. Es ist also nicht nur Experten, sondern auch Laien als Leitfaden und Werkzeug nachdrücklich empfohlen.
Rezension von
Prof. Dr. Gazi Caglar
Professor an der Fakultät für Soziale Arbeit und Gesundheit der HAWK Hildesheim / Holzminden / Göttingen
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Es gibt 13 Rezensionen von Gazi Caglar.
Zitiervorschlag
Gazi Caglar. Rezension vom 31.12.2010 zu:
Adibeli Nduka-Agwu, Antje Lann Hornscheidt (Hrsg.): Rassismus auf gut Deutsch. Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen. Brandes & Apsel
(Frankfurt) 2010.
ISBN 978-3-86099-643-0.
Reihe: wissen & praxis - Transdisziplinäre Genderstudien - 1. Wissen & Praxis - 155.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9335.php, Datum des Zugriffs 09.10.2024.
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