Horst Frehe, Felix Welti et al. (Hrsg.): Behindertengleichstellungsrecht
Rezensiert von Dr. iur. Marcus Kreutz, 12.10.2010

Horst Frehe, Felix Welti, bearb (Hrsg.): Behindertengleichstellungsrecht.
Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2010.
996 Seiten.
ISBN 978-3-8329-5221-1.
29,00 EUR.
CH: 49,90 sFr.
Stand: 1. Mai 2010.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-8329-7458-9 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Berichterstattung über AGG überlagert Diskriminierung wegen Behinderung
Zunächst war man in Kreisen der betroffenen Professionen (Personalchefs, Rechtsanwälte, Gerichte) der Meinung, dass das erst vor vier Jahren in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in der Praxis zu keinen großen Veränderungen führen wird. Insbesondere wurde die Ansicht vertreten, dass in der anwaltlichen und gerichtlichen Praxis das AGG zu keinen bemerkenswerten Entwicklungen und Entscheidungen führen würde. In den letzten Wochen wurde jedoch in der Tages- und Fachpresse verstärkt über Judikate berichtet, die in zahlreichen Fällen – vor allem im Hinblick auf den Fall der Altersdiskriminierung – Verstöße gegen das AGG feststellten. Das AGG ist aber fokussiert auf eine Gleichbehandlung von Behinderten im Zivilrecht, vor allem im Arbeits- und Mietrecht. Neben diesem mittlerweile relativ bekannten Gesetz gibt es aber noch zahlreiche weitere bundes- und landesrechtliche Normen, die das Ziel verfolgen, Behinderte eine größtmögliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und sich dabei nicht auf den Bereich des Zivilrechts beschränken. Das Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit e.V. (BKB), ein 2008 gegründeter Verein mit Sitz in Berlin, in dem zahlreiche Mitgliedsverbände als Interessenvertreter von Behindertengruppen engagiert sind, hat es sich zum Ziel gemacht, das von der Gesetzgebung erkorene Instrument – die sog. Zielvereinbarung −, mit dem zwischen dem BKB und Unternehmen die Berücksichtigung spezifischer Behinderteninteressen im Alltagsleben mit Leben zu erfüllen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat 14 der 15 Mitgliedsverbände des BKB ausdrücklich zum Führen sog. Zielvereinbarungsverhandlungen anerkannt. Das BKB verfolgt u.a. das Ziel, seine Mitgliedsverbände beim Führen solcher Zielvereinbarungsverhandlungen zu unterstützen.
Aufbau
Das Buch stellt eine Sammlung der maßgeblichen Rechtsvorschriften für Behinderte dar, die Vollständigkeit anstrebt. Es werden insgesamt über 140 Normkomplexe − teils vollständig, teils nur im relevanten Auszug – abgedruckt. Der Abdruck dieser Rechtsnormen erfolgt in sechs großen Abteilungen. Dabei handelt es sich um Folgende:
- Völkerrecht
- Europäisches Recht/Primärrecht
- Verfassungsrecht
- Öffentliches Recht
- Sozialrecht
- Zivilrecht
Inhalt
Neben diesem reinen Abdruck der einschlägigen Gesetzestexte sind vielen Abschnitten zusätzlich einführende Stellungnahmen namhafter Fachleute vorangesetzt. Bei diesen Autoren handelt es sich um folgende Personen:
- Peter Dietrich, beschäftigt bei der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Dort tätig in der Abteilung Recht, Sozialpolitik und Ethik als Jurist. Beschäftigt sich dort mit sozialrechtlichen Fragestellungen und ist daneben freiberuflich als Rechtsanwalt tätig.
- Diplom-Volkswirt Horst Frehe, ehemals Richter am Sozialgericht, Mitglied der Bremischen Bürgerschaft und rechtspolitischer, sozialpolitischer und behindertenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
- H.-Günter Heiden, M.A., arbeitet als freiberuflicher Publizist in Berlin. Beim NETZWERK ARTIKEL 3 e.V. ist er Redakteur des Informationsdienstes „Behinderung & Menschenrecht“ und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
- Dr. jur. Andreas Jürgens ist seit 2003 Mitglied des Hessischen Landtags. Von 1986 bis 2003 Richter am Amtsgericht in Kassel. Zahlreiche Veröffentlichungen vor allem zum Sozialrecht und Betreuungsrecht.
- Dr. jur. Gunther Jürgens ist seit 2004 Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel. Von 1986 bis 1988 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für öffentliches Recht der Philipps-Universität Marburg/Lahn, ab 1988 Richter am Verwaltungsgericht Kassel.
- Stud.ing. Sonja Golke studiert Biotechnologie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg und arbeitet als Tutorin für Informatik an der HAW.
- Stud. iur. Tim Golke studiert Rechtswissenschaften am Schwerpunkt Sozial- und Arbeitsrecht an der Universität Hamburg und arbeitet als studentischer Mitarbeiter bei Professor Dr. Felix Welti, Neubrandenburg, sowie als Berater im DGB-Campus-Office Hamburg.
- Assessor jur. Ulrich Hellmann arbeitet als Leiter der Abteilung Recht, Sozialpolitik und Ethik in der Bundesgeschäftsstelle der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. in Marburg.
- Klaus Lachwitz arbeitet seit 1981 als Jurist für die Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, Marburg und Berlin. Er ist Chefredakteur des Rechtsdienstes der Lebenshilfe und gemeinsam mit Professor Dr. Welti und Walter Schellhorn Herausgeber eines Kommentars zum Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX – Teilhabe und Rehabilitation).
- Dr. jur. Jaocahim Steinbrück ist seit Juli 2005 Behindertenbeauftagter des Landes Bremen. Zuvor war er als Richter am Arbeitsgericht Bremen und ehrenamtlich in der Behindertenhilfe tätig.
- Professor Dr. jur. Felix Welti, ist Professor für Sozial- und Verwaltungsrecht am Fachbereich Gesundheit, Pflege, Management der Hochschule Neubrandenburg; Mitglied des Landesverfassungsgerichts Schleswig-Holstein; Publikations- und Beratungstätigkeit im Bereich des Rehabilitations- und Behindertenrechts.
- Professor Dr. jur. Julia Zinsmeister ist Professorin für Zivil- und Sozialrecht an der Fachhochschule Köln, Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften.
Fazit
Das preisgünstige Buch bietet mit seiner beeindruckenden Materialsammlung nicht nur ein wertvolles und praxistaugliches Hilfsmittel für Behinderte, Behindertenverbände, Behörden, Rechtsanwälte und Gerichte, die mittels der abgedruckten Normen auch oft schwer zugängliche Regelungsbereiche greifbar haben, um konkrete Fallgestaltungen lösen zu können. Die praxisnahen und verständlichen Einführungen und Erläuterungen der Autoren runden den insgesamt sehr guten Eindruck, den das Buch hinterlässt, ab. Die Darstellungen sind in hervorragender Weise geeignet, die verschiedenen Besonderheiten des Behindertenrechts zu verstehen und in der Lebenswirklichkeit zur Geltung zu bringen.
Rezension von
Dr. iur. Marcus Kreutz
LL.M., Rechtsanwalt. Justiziar des Bundesverbandes Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V. in Köln
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