Eckhard Lotze: Humor im therapeutischen Prozess
Rezensiert von Dr. Svenja Sachweh, 15.07.2003

Eckhard Lotze: Humor im therapeutischen Prozess : Dimensionen, Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen für die Pflege. Mabuse-Verlag GmbH (Frankfurt am Main) 2003. 152 Seiten. ISBN 978-3-935964-19-7. 15,00 EUR.
Nicht Humorvolles, sondern Wissenschaftliches über den Humor
Das Titelbild ist das Witzigste an diesem Buch - und das hat Methode: will doch der Autor explizit nicht Humorvolles präsentieren, sondern das Phänomen Humor von allen Seiten und möglichst wissenschaftlich beleuchten, insbesondere in Bezug auf seine heilsamen Potenziale im Pflegekontext.
Aufbau
Im ersten Kapitel beschäftigt sich der Autor mit der Frage, was Humor überhaupt ist. Dabei nähert er sich über einer kurzgefasste, historisch angelegte Begriffsgeschichte gängigen Konzepten von Humor sowie der heutigen Humorforschung an.
Im zweiten Kapitel geht es dann um die Gelotologie, die Lachforschung. Hier erfährt man, dass Wissenschaftler in der Tat erfolgreich (wenn auch nicht gänzlich unumstritten) belegen konnten, dass Lachen die beste Medizin ist: Es wirkt sich in mancher Hinsicht positiv auf physiologische (wie etwa Stoffwechsel, Immunsystem) und psychische (Wohlbefinden, positive Emotionen) Vorgänge aus.
Das dritte Kapitel beschreibt mögliche Wirkungen von Humor im Bereich von Psychotherapie und Heilpädagogik. Es wird verdeutlicht, dass sich Humor nicht nur für den Umgang mit gesunden oder "normalen" kranken Menschen anbietet, sondern auch für den Umgang mit Menschen, die psychisch beeinträchtigt oder körperlich und/oder geistig behindert sind. Außerdem bietet Lotze die von ihm favorisierte Definition therapeutischen Humors an.
Im vierten Kapitel wird die Bedeutung von Humor für die Pflege der Zukunft aufgezeigt. Lotze argumentiert, es habe ein Paradigmenwechsel von krankheitsorientierten zu patienten- und ressourcenorientierten sowie gesundheitsfördernden, also ganzheitlicher ausgerichteten Pflegekonzepten gegeben. Im Mittelpunkt der Bemühungen stünden immer mehr das verbesserte Wohlbefinden und eine höhere Lebensqualität von Patienten. Humor als professionelle Haltung ergänze diese Konzepte in idealer Weise: Mit seiner Hilfe könnten Pflegende nicht nur ihre Beziehungen zu den Kranken, sondern auch den ganzen Pflegeprozess positiv gestalten und günstige Bewältigungsstile (wie z.B. Sinn für Humor als Grundlage von emotionalem Coping) auf Seiten der Kranken unterstützen. Da Humor auf kommunikativen Prozessen beruhe, bedürften Pflegende also entsprechender sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten. Lotze plädiert überdies dafür, dass sich therapeutischer Humor zu einer allseits anerkannten, professionellen Basiskompetenz für Pflegende entwickeln möge.
Kapitel fünf stellt der Überschrift zufolge Anwendungsmöglichkeiten von Humor als Pflegeintervention dar. Tatsächlich wird das Ganze aber nicht konkretisiert. Stattdessen wird im Rahmen des Pflegeprozessmodells kurz dargestellt, was hinsichtlich der Anamnese, der Planung, Durchführung und Evaluation von Humorinterventionen alles zu bedenken ist.
Im sechsten Kapitel geht der Autor der Frage nach, inwiefern man Humor in die Curricula der Pflegeausbildung integrieren kann. Seinen Ausführungen zufolge sind die bislang existierenden Curricula weit gehend humorlos - will sagen, Humor wird in keiner Weise berücksichtigt. Verwunderlich (um nicht zu sagen ärgerlich) ist allerdings, dass diese Curricula ausschließlich bewertet, nicht aber vorab in ihren inhaltlichen Grundzügen und Schwerpunktsetzungen wertneutral dargestellt zu werden. Der Autor kommt zu der Schlussfolgerung, dass Humor auch zukünftig zwar nicht in Lehr- und Lernzielkataloge aufgenommen werden sollte und dürfte, dafür aber unbedingt als methodische Unterrichtshilfe eingesetzt werden sollte.
Das siebte Kapitel ist den Grenzen von Humor in der Pflege gewidmet: Lotze führt aus, dass nicht die Schwere einer Erkrankung es ist, die Humor als therapeutisch geeignet oder ungeeignet erscheinen lässt. Humor sei dann unangemessen, wenn er den Patienten kränke oder verletze und dadurch den Beziehungsaufbau zu ihm erschwere oder gar verhindere. Zudem könne etwa aus Gründen einer Fehleinschätzung von Humorpräferenzen und Gefühlen des Patienten auch eine gut gemeinte Humorintervention scheitern.
Im achten Kapitel wagt Lotze schließlich einen Ausblick auf die Zukunft "humorvoller" Pflege. Er skizziert seine Vision von Pflegeausbildung, -beruf und -forschung im Jahr 2020 und resümiert schließlich: "Durch die Erforschung seiner Wirkung im Pflegeprozess wird sich der Humor eines Tages hoffentlich als zutiefst humane, gesundheitsfördernde Grundhaltung in der Pflege etablieren und eine ihm gebührende Würdigung für eine professionelle Beziehungsgestaltung bekommen." (S. 131)
Kritische Würdigung und Fazit
In inhaltlicher Hinsicht sind die meisten Gedankengänge von Herrn Lotze zu begrüßen: Wer wünschte sich nicht, dass die Pflege für alle Beteiligten über das Transportmittel Humor menschlicher, individueller und lebendiger würde?
Leider krankt dieses Buch jedoch an etwas; und das ist nicht zu wenig, sondern zu viel Wissenschaftlichkeit. Für eine Qualifikationsarbeit sind die vielen Zitate, Literaturreferate und Beweise (geistes)wissenschaftlicher Belesenheit sicher angemessen - für das breite Publikum (sollten nicht nur Pflegepädagogen und PflegewissenschaftlerInnen angesprochen sein) sind sie es definitiv nicht. Überdies ist die darin verwendete Sprache wegen der hohen Fremdwortdichte, des Nominalstils und der vielen grammatisch hochkomplexen Schachtelsätze (in denen sich der Autor zuweilen selber verheddert hat ;-)) mühsam und selbst für mich als promovierte Germanistin schwer verständlich. Wenn man viele Sätze dreimal lesen muss, um sie zu verstehen, braucht es mehr als langen Atem, um sich durch das eigentlich schmale Büchlein zu kämpfen. Schade - eine rezipientenorientierte Überarbeitung hätte die wichtigen und nachdenkenswerten Inhalte sicher einem größeren Lesepublikum schmackhaft machen können. Vielleicht in der nächsten Auflage?
Rezension von
Dr. Svenja Sachweh
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