Gunter Geiger, Anna Spindler (Hrsg.): Frühkindliche Bildung
Rezensiert von Thomas Buchholz, 20.06.2011

Gunter Geiger, Anna Spindler (Hrsg.): Frühkindliche Bildung. Von der Notwendigkeit frühkindliche Bildung zum Thema zu machen. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2010. 220 Seiten. ISBN 978-3-86649-295-0. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 44,00 sFr.
Thema
„Frühkindliche Bildung ist ein Thema, das in der Gesellschaft, in der Politik und den Kirchen intensiv diskutiert wird“ (S. 11). Ist von frühkindlicher Bildung die Rede, werden dem Leser häufig auch Wendungen wie „vom Kinde aus“, „ganzheitliches Bildungsverständnis“ oder „Co-Konstruktive Aneignung von Welt“ angeboten. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesen wohlklingenden Begrifflichkeiten? Diese und anderen Fragen stehen im Zentrum des vorliegendes Bandes: „Was bedeutet … „Bildung“ für Kinder und deren Entwicklung? Wie kann pädagogische Arbeit mit Kindern und Kleinkindern gelingen? Welche Veränderungen ergeben sich durch die Ergebnisse von neuen empirischen Forschungsstudien? Wie sollen Bildungsprozesse von Kindern gestaltet werden?“ (ebd.).
Entstehungshintergrund
Das Buch ist im Rahmen einer Fachtagung der katholischen Akademie Fulda entstanden. Die AutorInnen des Buches haben verschiedene berufliche Hintergründe und nähern sich dem Thema „frühkindliche Bildung“ aus den Perspektiven von Wissenschaft, Praxis sowie der Aus- und Fortbildung.
Aufbau und Inhalt
Ziel des Buches ist es, dem Leser eine Annäherung an das Thema der frühkindlichen Bildung zu ermöglichen. Insofern gibt es Personen, die sich bisher wenig mit Bildung in der Kindheit beschäftigt haben, eine knappe Einführung in ausgewählte Schwerpunktthemen. Das Buch erhebt keinen Anspruch darauf, das Thema der frühkindlichen Bildung vollständig und in seiner Ganzheit zu bearbeiten.
Der erste Beitrag des Bandes von Dagmar Bergs-Winkels wagt eine Bestandsaufnahme zur Situation der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Ausgehend von den Ergebnissen der PISA-Studien und anderer Leistungsvergleichsstudien benennt die Autorin einen Zusammenhang zwischen schulischen Leistungen und dem Besuch einer Kindertageseinrichtung. Sie kommt zu dem Schluss, dass insbesondere die Qualität der Kindertagesbetreuung einen Einfluss auf die Entwicklung von Kindern hat. Insofern kann der Beitrag von Dagmar Bergs-Winkels als ein Plädoyer für die Anhebung der ErzieherInnen-Qualifikation gelesen werden.
Der anschließende Beitrag von Nadia Kutscher fokussiert den Bereich der Medienbildung und stellt einen Zusammenhang zwischen Bildungsbenachteiligung und der Mediennutzung her. Neben der Selbstreflexion eigener Medienpraxen sollten Professionelle deshalb fragen, „in welchen lebensweltlichen Zusammenhängen sich Kinder und ihre Familien befinden, was in dieser Lebenswelt wichtig ist … Erst auf dieser Basis können dann in einem nächsten Schritt neue und erweiterte Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden“ (S. 37).
Werden Bildungsprozesse in der frühen Kindheit in den Blick genommen, muss auch der Zusammenhang zwischen Einkommensarmut und Teilhabegerechtigkeit am Bildungssystem mit gedacht werden. Es ist heute unstrittig, dass es einen Zusammenhang zwischen Kinderarmut und der Bildungsbeteiligung von Kindern gibt. Uta Meier-Gräwe nähert sich diesem Thema an, indem sie eine Bestandaufnahme zur Armutsentwicklung in Deutschland gibt und Möglichkeiten zur Armutsprävention als Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit benennt. Insbesondere in der Vernetzung und im interdisziplinären Arbeiten der Akteure unterschiedlicher Hilfesystemen sieht die Autorin einen sinnvollen Beitrag zur Armutsprävention und Bildungsförderung.
Die Entwicklung einer sicheren Bindung zwischen Kind und Bezugspersonen ist eine wichtige Basis für die weitere Entwicklung des Kindes. In dem Beitrag „Geist in Windeln – Spiritualität in frühen Erziehungs- und Bildungsorganisationen“ beschreibt der Professor für Religionspädagogik Anton Bucher die Bedeutung der Spiritualität für die kindliche Bindung und Entwicklung. Spiritualität wird hierbei als eine Verbundenheit der Person mit seiner Welt verstanden, die Thema spiritueller Erziehung in den Einrichtungen frühkindlicher Bildung ist.
Der darauffolgende Beitrag von Julia Berkic führt in die Bindungstheorie und deren Bedeutung für frühkindliche Bildung ein. Kinder bauen in den ersten Lebensjahren eine Bindung zu ihren Bezugspersonen auf. Die Art der Bindungsorganisation ist dabei prägend für das gesamte weitere Leben und ausschlaggebend für weitere Bildungserfahrungen.
Anschließend setzt sich Anna Spindler in zwei Beiträgen mit der frühen Bildung bei den unter drei Jährigen auseinander. Im ersten Beitrag beschreibt die Autorin, was Bildung bei unter drei Jährigen bedeutet und gibt Anregungen, wie diese von Professionellen der frühkindlichen Bildung unterstützt werden kann. In ihrem zweiten Beitrag beschreibt Anna Spindler was Einrichtungen tun können, um eine Altersmischung umzusetzen und konzeptionell zu verankern.
Im letzten Teil des Buches gelangt nochmals die Qualifizierung von Fachkräften der frühkindlichen Bildung in den Fokus der Betrachtung. Angelika Bärwinkel beschreibt ausgehend von eigenen Erfahrungen aus dem Bereich der Fortbildung die Qualifizierungsreihe „Lust auf Bildung“ für ErzieherInnen, die von der katholischen Akademie Fulda durchgeführt wurde.
Diskussion und Fazit
Das Buch trägt den Untertitel „Von der Notwendigkeit frühkindliche Bildung zum Thema zu machen“. Frühkindliche Bildung zählt seit mehreren Jahren zu einem der Top-Themen in der Bildungsdiskussion. Seit der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse 2001 forderten Vertreter aus Fachwissenschaft, Politik und der Arbeitgeberverbände sowie Gewerkschaften eine Qualifizierung der Angebote frühkindlicher Bildung. Parallel dazu begannen alle Bundesländer Bildungsempfehlungen und -pläne für den frühkindlichen Bereich zu entwickeln. Diese sollten nicht zuletzt den Anspruch eines jeden Kindes auf Bildung und Förderung vom ersten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt oder darüber hinaus stärken. Es kann also davon ausgegangen werden, dass im Laufe der letzten zehn Jahre die Notwendigkeit der frühkindlichen Bildung anerkannt wurde und sich in den Anstrengungen von Politik, Wissenschaft und Praxis wiederfindet.
Welchen Auftrag bzw. welches Ziel hat also dieses Buch? Es kann als Einführung in das Thema der frühkindlichen Bildung verstanden werden, ohne jedoch neue Erkenntnisse oder Konzepte zu präsentieren. Damit ist es für all jene interessant, die sich erstmals mit dem Thema frühkindliche Bildung beschäftigen. Es führt dabei in aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich ein, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Die Stichworte sind hier: Ausbau der Kindertagesbetreuung in qualitativer und quantitativer Hinsicht, Medienerziehung, Kinderarmut, Bindung, Bildung bei den unter drei Jährigen usw.
Dabei bildet das Buch nur einen kleinen Ausschnitt aus Wissenschaft und Praxis ab. Andere relevante Themen werden nur am Rande erwähnt oder gar nicht bedacht, z.B.
- die Bedeutung der Bildungspläne für den Bildung von Kindern und ihre gesellschaftliche Einbindung in das Dreiecksverhältnis „Eltern – Kind – Staat“
- Bildung im Lebenslauf, insbesondere der Übergang in weiterführende Bildungsinstitutionen und deren Bedeutung für die kindliche Bildungsbiografie
- sprachliche und schriftsprachliche Bildung in der frühen Kindheit und ihre Bedeutung für die weitere Bildungsbiografie (z.B. Literacy-Erziehung)
- geschlechtliche Identitätsentwicklung und deren Berücksichtigung in der Kindertagesbetreuung (z.B. das Gender-Konzept)
- weitere Bildungsbereiche, die sich auch in den Bildungsplänen der Länder wiederfinden
- der pädagogisch sinnvolle Umgang mit Heterogenität (dies schließt auch die Integration/Inklusion von Kindern mit Behinderung ein)
- die Bedeutung der Elternarbeit (Erziehungspartnerschaft) für frühkindliche Bildung.
Ohne diese Themen zu bearbeiten, kann der Anspruch des Buches nicht eingehalten werden. Dieser besteht darin, zu klären, was frühkindliche Bildung bedeutet und „wie es in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Kleinkindern gelingen kann, kindgemäße und entwicklungsförderliche Bildungsprozesse zu gestalten“ (siehe Klappentext). Den AutorInnen gelingt es daher leider nur begrenzt, in das komplexe Thema der frühkindlichen Bildung einzuführen und dem Leserpublikum zugänglich zu machen.
Rezension von
Thomas Buchholz
M.A.
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