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Simone Schmidt, Martina Döbele: Demenzbegleiter

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 13.04.2011

Cover Simone Schmidt, Martina Döbele: Demenzbegleiter ISBN 978-3-642-04859-3

Simone Schmidt, Martina Döbele: Demenzbegleiter. Leitfaden für zusätzliche Betreuungskräfte in der Pflege. Springer (Berlin) 2010. 195 Seiten. ISBN 978-3-642-04859-3. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 29,00 sFr.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-662-52652-1 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Thema

Im Jahr 2008 wurde das Pflegeversicherungsgesetz dergestalt novelliert, dass für die Betreuung Demenzkranker in den Heimen der Tätigkeitsbereich für zusätzliche Betreuungskräfte geschaffen wurde, die überwiegend als Alltags- oder Demenzbegleiter bezeichnet werden (Richtlinien nach § 87b Abs. 3 SGB XI). Diese neue Mitarbeitergruppe fungiert somit zusätzlich zu den Pflegenden und den Mitarbeitern des sozialen oder begleitenden Dienstes. Die Hauptaufgabe besteht in der Betreuung und Aktivierung der Demenzkranken mit dem Ziel, „das Wohlbefinden, den physischen Zustand oder die psychische Stimmung der betreuten Menschen positiv beeinflussen (zu) können.“ Für das neue Tätigkeitsfeld bedarf es keiner beruflichen Erfahrungen, erforderlich sind nur die persönliche Eignung und das Interesse am Umgang mit Demenzkranken (u. a. eine positive Haltung gegenüber alten und kranken Menschen, Empathie- und Teamfähigkeit). Nach den Richtlinien bestehen die Qualifikation der Betreuungskräfte aus einem Orientierungspraktikum, die Qualifizierungsmaßnahme und regelmäßigen Fortbildungen. Die Qualifizierungsmaßnahme setzt sich aus drei Modulen zusammen und „hat einen Gesamtumfang von mindestens 160 Unterrichtsstunden sowie ein zweiwöchiges Betreuungspraktikum.“ Das vorliegende Handbuch versteht sich als ein Leitfaden für diese neue Mitarbeitergruppe.

Autorinnen

Bei den Autorinnen handelt es sich um zwei Krankenschwestern mit zusätzlichen beruflichen Qualifikationen (u. a. Studium Pflegemanagement, Qualitätsmanagement und TQM-System-Auditorin), die vorwiegend in der Beratung von Einrichtungen des Gesundheitswesens tätig sind.

Aufbau und Inhalt

Der Aufbau und die Inhalte des Buches sind eng an den Richtlinien (§ 4 Qualifikation der Betreuungskräfte - Modul 1: Betreuungsarbeit in Pflegeheimen mit einem Umfang von 100 Stunden) angelehnt. Der Text ist in elf Kapiteln und einem Anhang untergliedert. Folgende Inhalte werden dargeboten:

  • Kapitel 1 - das Krankheitsbild (Seite 1 – 14): Formen der Demenz, Symptome, Diagnose und Differentialdiagnose, Prognose und Behandlung.
  • Kapitel 2 – Psychische Erkrankungen (Seite 15 – 24): Psychose (Unterteilung und Symptome der Psychosen, Behandlung und Betreuung), Depression (Symptome und Behandlung und Umgang mit Depressiven) und geistige Behinderung (Symptome der Minderbegabung, Behandlungsmöglichkeiten).
  • Kapitel 3 – Umgang mit dementen Menschen (Seite 25 – 48): Kommunikation und Kommunikation bei Demenz einschließlich der Kommunikationsstörungen, Interaktion und Umgang mit dementen Menschen (Haltung, Kennenlernen, verbale und nonverbale Kommunikation), Biografie (äußere und innere Biografie) und Kommunikationsspiele.
  • Kapitel 4 – Alterserkrankungen (Seite 49 – 61): Diabetes mellitus (Krankheitsbild, Diagnose und Behandlung, Über- und Unterzuckerung), degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates (Gelenkverschleiß und Osteoporose) und die Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herzerkrankungen, Blutdruck und der Schlaganfall).
  • Kapitel 5 – Pflege und Dokumentation (Seite 63 – 83): Pflegeprozess (vier Phasen: Informationssammlung, Erkennen der Ressourcen und Pflegeprobleme, Festlegung der Pflegeziele und Planung der Pflegemaßnahmen, Durchführung der Pflege und Evaluation), Pflegedokumentation (Aufbau der Pflegedokumentation, inhaltliche und formale Kriterien), Grundkenntnisse der Pflege (aktivierende Pflege, Grade der Selbständigkeit, der Hilfebedarf) und das AEDL-Strukturierungsmodell nach Krohwinkel mit seinen 13 Elementen.
  • Kapitel 6 – Betreuung von dementen Menschen (Seite 85 – 118): Beschäftigung und Beschäftigungsmöglichkeiten, Tages- und Wochenstruktur, Milieugestaltung einschließlich Orientierungshilfen und Tieren, personenzentrierte Interventionen wie Validation und Dementia Care Mapping und Organisation der Beschäftigungsangebote in Gestalt der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung.
  • Kapitel 7 – Ernährung (Seite 119 – 132): Bestandteile der Ernährung (Makronährstoffe wie Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß und Mikronährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe), gesunde, ausgewogene Ernährung (Körpergewicht, Energiebedarf und Berechnung des Energiebedarfes), Über-, Fehl- und Mangelernährung (körperliche Veränderungen im Alter, Übergewicht, Untergewicht und Mangelernährung), Diät und Schonkost (u. a. Trinknahrung und Sondennahrung) und ausgewogener Flüssigkeitshaushalt (mangelndes Durstgefühl im Alter und Austrocknung).
  • Kapitel 8 – Hauswirtschaft (Seite 133 – 139): Demenzkranke zuhause und in Wohngruppen, hauswirtschaftliche Versorgung im Rahmen der Pflegeversicherung (Einkaufen und Besorgungen, Zubereitung von Mahlzeiten, Spülen, Reinigung der Wohnung, Wäschepflege und Heizen).
  • Kapitel 9 - Erste Hilfe (Seite 143 – 149): der Notfall (Rettungskette und Notruf), lebensrettende Sofortmaßnahmen (stabile Seitenlage und Schockbekämpfung), erste Hilfe bei Herz-Kreislauf-Stillstand (Herzdruckmassage und Atemspende) und erste Hilfe bei Verletzungen (Verletzung bei Stürzen, erste Hilfe bei Blutungen, Verbrennungen, Verbrühungen und Vergiftungen).
  • Kapitel 10 – Rechtskunde (Seite 151 – 162): Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen, Schweigepflicht, wichtige gesetzliche Regelungen (Pflegeversicherung, Straftaten gegen das Leben, gesetzliche Betreuung, Vollmacht, Patientenverfügung und Freiheitsentziehung) und der Infektionsschutz.
  • Kapitel 11 – Kooperation (Seite 163 – 167): Kooperation in der Einrichtung (Organisationsstruktur, Verantwortung und Stellenbeschreibung) und Kooperation mit Angehörigen.
  • Anhang (Seite 169 – 181): Cohen-Mansfield-Skala, Mini-Mental-Status-Test, Betreuungsdokumentation, Maßnahmenplan, Schnelle Hilfe im Notfall, Vorbereitung und SGB XI §45a (berechtigter Personenkreis). Den Schluss des Buches bilden ein Glossar und ein Stichwortverzeichnis.

Diskussion

Bei der Bewertung eines Buches gilt es auch, die Adressaten und die Funktion eines Textes angemessen zu berücksichtigen. Laut Umschlagtext besteht die Zielgruppe für dieses Handbuch aus den Demenzbegleitern, die gerade einmal 100 Stunden Theorie und ein zweiwöchiges Praktikum in einem Pflegeheim absolviert haben. Es sollen in diesem Handbuch die „wichtigsten Grundlagen“ enthalten sein, „um demenzkranken und psychisch kranken Menschen zu helfen“. Das ist der Anspruch.

Aus folgenden Gründen fällt die Beurteilung zwiespältig aus. Positiv zu bemerken sind folgende Aspekte

  • Die Ausführungen über die nicht demenzspezifischen Inhalte wie u. a. Rechtskunde, Ernährung und Alterskrankheiten sind allgemeinverständlich, übersichtlich und fachlich korrekt dargestellt. Abbildungen, Hervorhebungen und Zusammenfassungen erleichtern den Zugang zu den Texten und bilden somit didaktische Hilfen.

Unzureichend für die neue Helfergruppe der Demenzbegleiter hingegen sind die folgenden Punkte

  • Es fehlt ein übergreifendes Konzept u. a. auf der Grundlage neuropathologischer Abbauprozesse zur Fundierung und Erklärung demenzspezifischer Verhaltensweisen. Die Demenzbegleiter benötigen ein Grundwissen über die Verarbeitungs- und Reaktionsweisen äußerer und innerer Impulse bei Demenzkranken im mittelschweren Stadium, um den Umgang angepasst an das Bewältigungsvermögen der Betroffenen gestalten zu können. Es fehlen auch Ausführungen über die demenztypischen Realitätsverluste und Realitätsverzerrungen wie z. B. Fehlwahrnehmungen und wahnhafte Halluzinationen.
  • Es werden sehr knapp und dadurch recht unverständlich für Helfer Inhalte mit teils praxisuntauglichen Strategien wie die Validation, die so genannte „maligne Sozialpsychologie“ nach Tom Kitwood und das so genannte „Lügenverbot“ wiedergegeben. Hierdurch wird die Betreuung und Begleitung Demenzkranker nur erschwert, denn diese Konzepte verhindern in der Regel einen spontanen und intuitiven Kommunikationsstil.
  • Des Weiteren fehlen Ausführungen über das Stressverhalten und die Stresssensibilität der Demenzkranken bei der Betreuung und Milieugestaltung, die die Grundlagen für jedwede Form der sozialen Einbindung in Form von Beschäftigungs- und Betreuungsangeboten bilden. Auch werden die in den Heimen bereits praktizierten Vereinfachungs- und Kompensationsstrategien wie ständige Wiederholungen und personale Stetigkeit für das Demenzmilieu nicht angeführt und erläutert.

Fazit

Demenzbegleiter benötigen ein solides und praxistaugliches Rüstzeug an theoretischen Grundlagen über den Umgang mit Demenzkranken für ihre nicht leichte Tätigkeit der Betreuung und Begleitung. Die vorliegende Veröffentlichung enthält nicht das hierfür erforderliche Wissen. Eine Empfehlung zur Lektüre kann daher nicht gegeben werden.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 13.04.2011 zu: Simone Schmidt, Martina Döbele: Demenzbegleiter. Leitfaden für zusätzliche Betreuungskräfte in der Pflege. Springer (Berlin) 2010. ISBN 978-3-642-04859-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9429.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.


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