Sabine Handschuck, Hubertus Schröer: Eigennamen in der interkulturellen Verständigung
Rezensiert von Prof. Simone Gretler Heusser, 20.09.2011

Sabine Handschuck, Hubertus Schröer: Eigennamen in der interkulturellen Verständigung. Handbuch für die Praxis.
ZIEL Verlag
(Augsburg) 2010.
275 Seiten.
ISBN 978-3-940562-39-5.
D: 24,80 EUR,
A: 25,50 EUR,
CH: 45,00 sFr.
Reihe: Interkulturelle Praxis und Diversity-Management.
Thema
Dieses Buch setzt sich mit der Bedeutung von Eigennamen in der interkulturellen Verständigung auseinander. Es handelt sich dabei sowohl um die Vermittlung von Hintergrundinformationen als auch um ein ganz praktisches Nachschlagewerk für den Alltag.
Autorin und Autor
Sabine Handschuck und Hubertus Schröer verfügen beide über Praxiserfahrung im Integrationsbereich und haben zusammen unter anderem über Dienstleistungen des Gemeinwesens in der Einwanderungsgesellschaft geforscht.
Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch ist aus den Erfahrungen der Autorin/des Autors in der interkulturellen Arbeit entstanden. Insbesondere hat sich im Rahmen des Projektes „Interkulturelle Qualitätsentwicklung im Sozialraum“ die Bedeutung des sensiblen Umgangs mit Eigennamen gerade in interkulturellen Situationen gezeigt; weitere Arbeiten im interkulturellen und intergenerationellen Bereich unterstützen diese Erkenntnis.1
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in vier Themenbereiche gegliedert.
Der erste Themenbereich enthält eine Reihe von Hintergrundinformationen zur Entstehung von Eigennamen sowie zum Namensrecht und seiner historischen Entwicklung sowie Informationen zur Namensgebung im Christentum, Judentum und im Islam.
Der zweite Themenbereich befasst sich mit dem (kultursensiblen) Umgang mit Eigennamen in interkulturellen Begegnungssituationen und damit der interkulturellen Praxis speziell in der Sozialen Arbeit, im Gesundheits- und Bildungsbereich sowie in der Verwaltung.
Im dritten Themenbereich stehen biografische Erzählungen, in welchen die zwölf interviewten Personen sich zu ihrem Eigennamen äussern.
Der vierte Teil (inklusive Glossar) schliesslich ist als Nachschlagewerk zu verstehen. Für häufige Herkunftsländer von Migrantinnen und Migranten in Deutschland werden einige Grundinformationen zu Geschichte und politischer Situation, Religion und Sprachen des jeweiligen Landes aufgelistet. Anschliessend wird für das jeweilige Land die Namensgebung (z.B. wie sind Namen zusammengesetzt, wie werden sie gewählt, etc.) beschrieben, unterteilt in Vor- und Nachnamen, weibliche und männliche Namen. Spezielle Kommunikationsformen wie Begrüssungsformeln werden unter „Interkulturelle Kommunikation“ (zwischen Deutschen und Vertreter/innen des jeweiligen Landes) erläutert und im letzten Abschnitt sind die wichtigsten Regeln zur Aussprache der jeweiligen Sprachen festgehalten.
Ein kleines aber drastisches Beispiel zu Beginn des Buches macht die Bedeutung des Namens und die Tragweite eines unsensiblen Umgangs durch Repräsentanten des Staates damit unmittelbar nachvollziehbar:
Es wird beschrieben, wie ein Kind neu in einer Kindergruppe aufgenommen wird. Sein Name ist Alixan. Die Betreuerin begrüsst ihn als „Aliksan“ (liest den Namen auf dem Formular nach deutschen Regeln). Der Knabe meint, er heisse eigentlich „Alichan“. Darauf meint die Betreuerin, das sei ein schöner Name, für sie und die Kinder hier jedoch schwierig auszusprechen. Sie würden ihn „Ali“ nennen. Der Bub ist damit zufrieden, er wird in der Gruppe gut aufgenommen und fühlt sich wohl. Ein paar Tage später jedoch greift seine Mutter vehement ein: Mit der Umbenennung von Alixan zu Ali sei ihrem Sohn die kurdische Identität genommen worden und er habe einen (verhassten) türkischen Namen erhalten. Die Betreuerin wendet ein, Alixan sei für sie und die anderen Kinder ein zu schwieriger Name. Der Konflikt kann nicht gelöst werden, das Kind muss die Gruppe wechseln, der Name „Ali“ blieb jedoch an ihm hängen.
In der Diasporasituation muss eine Auseinandersetzung mit kulturellen Transformationen stattfinden, und die Identitätsbildung kann dadurch belastet oder erleichtert werden. Nach Heiner Keupp (1999: 267) hängt die Selbstpositionierung des Individuums vor allem davon ab, wer die Deutungsmacht hat. Für Georg Auernheimer (2003: 69) kommt es darauf an, dass die Mehrheitsgesellschaft den Angehörigen von Minderheiten akzeptable Identitätsangebote macht. Er unterscheidet drei, für die Passungsleistung zwischen innen und aussen relevante Dimensionen der kulturellen Identitätsarbeit:
- In der Minderheitensituation oder Fremdbegegnung wird der je kulturell spezifische Habitus zum Gegenstand der Aufmerksamkeit und erfordert eine Auseinandersetzung.
- Die Selbstverortung von Individuen geschieht oft im Ringen mit ethnischen Zuschreibungen.
- Der Umgang mit den verfügbaren kulturellen Symbolbeständen wie Sprache, Schrift, Religion sind bedeutungsvoll.
Im oben beschriebenen Beispiel kommen diese drei Dimensionen zum Tragen:
- Der fremd klingende Namen wird zum Gegenstand der Aufmerksamkeit.
- Die ethnische Zuschreibung „Türke“ führt zu einer (aus der Perspektive der kurdischen Minderheitenangehörigen) Anerkennung verweigernden Umbenennung.
- Die kurdische Sprache und Schrift, welche in der Türkei zur Verfolgung geführt hat, wird auch in der Diasporasituation in Deutschland missachtet.
- Das Identitätsangebot wird als inakzeptabel empfunden und löst einen massiven Konflikt aus.
Diskussion
Im Buch von Sabine Hanschuck und Hubertus Schröer gibt es solche „Augenöffner“ zuhauf. Speziell interessant waren für mich in diesem Zusammenhang die Hintergrundinformationen zu Beginn des Buches. Sie zeigen auf, dass die heute als selbstverständlich empfundenen, festgeschriebenen Familiennamen im deutschsprachigen Raum noch vor relativ kurzer Zeit z.B. beliebig in ihrer Schreibweise verändert werden konnten. Die grossen Unterschiede in der Freiheit, den Vornamen eines Kindes zu wählen (oder eben einen vorgegebenen Namen zu übernehmen) sind uns angesichts der medialen Verbreitung von Promi-Kinder-Namen wie „Apple“, “ Rain“ oder „River“ vielleicht schon vertrauter.
Ich kann mich gut an eine Lehrveranstaltung in der Schweiz erinnern, in welcher eine junge Migrantin sehr erstaunt war, dass auch die Schweiz – vor noch nicht allzu langer Zeit – ein Emigrationsland gewesen ist. Diese Information ermöglichte ihr, die Mehrheitsgesellschaft in einem neuen Licht zu sehen und ihre eigene Positionierung als junge Migrantin dazu in Bezug zu setzen.
Dass die (um korrekte Aussprache bemühte) Ansprache mit Namen in Kommunikationssituationen auf jedem Amt, in jeder Institution eine hervorragende Gelegenheit ist, Interesse und Aufmerksamkeit zu signalisieren, im schlechten Fall jedoch durch unsorgfältiges Handeln diese Kommunikationssituationen unnötig und manchmal irreversibel belastet werden, legt das Buch von Sabine Handschuck und Hubertus Schröer unmittelbar nahe. Es ist ein reicher, auch spannend zu lesender Fundus mit berührenden und sofort einleuchtenden Fallbeispielen.
Etwas zwiespältig stehe ich dem vierten Teil gegenüber, in welchem die Namensgebung und ihre Aussprache von Minderheitenangehörigen in Deutschland als Nachschlagewerk kompiliert sind. Die dort enthaltenen Informationen sind zweifellos wertvoll und interessant, jedoch könnten sie dazu verleiten, einen Namen schnell nachzuschlagen und dann (vermeintlich) zu „wissen, wie es ist“. Dabei ist meiner Meinung nach die wichtigste Erkenntnis der interkulturellen Arbeit, dass der/die Andere anders anders sein könnte, als man denkt.2
Fazit
Ein absolutes Must für alle Professionellen der Sozialen Arbeit, des Bildungs- und Gesundheitsbereichs in der Einwanderungsgesellschaft!
Literatur
- Auernheimer, Georg (2003): Einführung in die interkulturelle Pädagogik. Darmstadt.
- Auernheimer, Georg, Hrsg. (2010): Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität. Wiesbaden.
- Keupp, Heiner et al. (1999): Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbek.
1 Handschuck, Sabine (2008): Interkulturelle Qualitätsentwicklung im Sozialraum. Band 1: Konzeption. Augsburg.
Handschuck, Sabine/Schröer, Hubertus: Mehrgenerationenarbeit – Kultur und Generationen übergreifende Arbeit im Stadtteil. Augsburg.
2 Nach Auernheimer (2010: 60).
Rezension von
Prof. Simone Gretler Heusser
Sozialwissenschafterin, Coaching Praktikerin, Dozentin, Hochschule Luzern
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