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Swantje Bittner: Friluftsliv

Rezensiert von Noemi Eilingsfeld, 23.06.2010

Cover Swantje Bittner: Friluftsliv ISBN 978-3-940562-34-0

Swantje Bittner: Friluftsliv. Ein pädagogischer Ansatz mit Parallelen zur Erlebnispädagogik? ZIEL Verlag (Augsburg) 2009. 132 Seiten. ISBN 978-3-940562-34-0. D: 15,80 EUR, A: 16,30 EUR, CH: 28,00 sFr.
Reihe: Hochschulschriften.

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Vom einfachen Leben

Als vor ungefähr 150 Jahren ein Mann namens Henry D. Thoreau sich am amerikanischen Unabhängigkeitstag in Richtung der Wälder von Massachusetts aufmachte, um der Gesellschaft und ihren erdrückenden Vorstellungen über das Lebens den Rücken zu kehren, hätte sicher niemand gedacht, dass er schlussendlich einer der Pioniere der später in Norwegen entstandenen Friluftslivbewegung sein würde. Tatsächlich aber gehörte er, neben Rousseau und Nansen, zu den Wegbereitern des Friluftliv und der Pädagogik, die sich aus diesem Zusammenhang entwickelt hat.

Hat man Swantje Bittners Werk „Friluftsliv“ vor sich, so erblickt man ein eher unscheinbares und unbeeindruckendes Cover. Doch der Schein trügt. Swantje Bittner hat es nicht nur geschafft, einen geschichtlichen Rückblick herzustellen, sondern gekonnt Parallelen und Unterschiede zu der Erlebnispädagogik aufzuzeigen. Dieses Buch lässt sich, auch ohne jegliche Vorkenntnisse, gut lesen und verstehen, weshalb den Norwegern die Verbundenheit zur Natur so unglaublich wichtig ist.

Friluftsliv und Erlebnispädagogik

Das Buch teilt sich in fünf Themenbereiche:

  1. Friluftsliv - ein geschichtlicher Abriss,
  2. Was ist Friluftsliv heute?,
  3. Friluftslivpädagogik,
  4. Das Erlebnis,
  5. Friluftsliv und Erlebnispädagogik.

Im geschichtlichen Abriss beschreibt Swantje Bittner, dass Friluftsliv, nicht wie die Erlebnispädagogik sich aus einer Reformpädagogik entwickelt hat, sondern viel mehr aus einer lang gewahrten Tradition entstanden ist. Mitte des 19. Jahrhunderts begannen Menschen Touren in die Natur zu unternehmen, ohne dass dies für die Arbeit oder das Überleben wichtig gewesen wäre. (S.11) Diese Aktivitäten sprachen sich bald herum und so kam es, dass immer mehr wohlhabende Engländer angereist kamen um die bezaubernde Natur Norwegens mit eigenen Augen zu bestaunen. Friluftsliv entwickelte sich mehr oder weniger zu einer Art Touristenattraktion. Aktivitäten wie Jagen, Fischen, Bergtouren, Klettern, Gletscherwandern, Segeln und Skiwandern wurden mit dem Ziel betrieben, ein Erlebnis zu haben (S.12) Friluftsliv wurde von den Einheimischen mehr und mehr als Ausgleich zum Stadtleben genutzt, welche als krankmachend empfunden wurde, und als eine Lebensphilosophie, die gemeinsam mit Freunden und der Familie ausgeübt wird. (S.14)

Was ist Friluftsliv?

Im nächsten Abschnitt „Was ist Friluftsliv heute?“, beginnt Swantje Bittner mit einer Definition des Friluftsliv: „Friluftsliv ist der Aufenthalt und die körperliche Aktivität in der freien Natur in der Freizeit, wobei ein Hauptmerkmal auf die Umweltveränderungen und dem Erlebnis in der Natur liegt“ (vgl. Miljoverndepartment 2001,S.11). Als eine der wenigen Kritiken an Friluftsliv im Allgemeinen gilt in dieser Definition, dass zu wenig auf den methodischen Hintergrund eingegangen wird, welcher sich aber zunehmend als Arbeitsform in Schulen, Hochschulen und in der Sozialen Arbeit etabliert hat. (S.19) Des weiteren geht Swantje Bittner in diesem Teil auf das traditionelle Friluftsliv ein und stellt kurz deren Kriterien vor. (S.24) Die Vorreiter des Friluftsliv, Nils Faarlund, Lars Monsen und Arne Naess, werden genauer behandelt und ein direkter Bezug zu den später daraus entstandenen Entwicklungen hergestellt. Diese sind z.B. die norwegische Touristenvereinigung (DNT) und die Uteskole (eine Schule, welche sowohl im Freien als auch im Klassenzimmer unterrichtet). Friluftsliv erhält einen immer stärkeren Einzug auch an Schulen, insbesondere an Fachhochschulen und Internaten, wo Friluftsliv zunehmend als eigenständiges Unterrichtsfach angeboten wird. (S.38)

Friluftsliv als Lebens- und Naturphilosophie

Der Fokus des Buches liegt auf dem dritten Teil „Friluftslivpädagogik“, welcher mit Abstand auch der umfassendste ist. Hier erwähnt Swantje Bittner nicht nur, wie sich die Friluftslivpädagogik entwickelt hat, sondern geht auch auf die Aktivitäten des Friluftsliv ein und erläutert in dem Zusammenhang auch die Basiskenntnisse für Schüler und Leiter. Auch die Bedeutung der Gruppe spielt in der Friluftslivpädagogik eine wichtige Rolle. Die Mitgliedschaft in einer Gruppe ist für die Entwicklung des einzelnen Menschen von höchster Bedeutung, da sie einen Raum für Akzeptanz und Angenommenwerden gibt. (vgl. Gilsdorf 2004, S. 324f) Anhand des Beispiels Schneehöhlenbau wird näher auf die Förderung des Gruppenzusammenhaltes eingegangen.

Weiterhin werden die Lernziele der Friluftslivpädagogik erläutert, welche aus der Persönlichkeitsentwicklung, der Handlungskompetenz, der Wahrnehmungsfähigkeit und dem Gesundheitsbewusstsein bestehen.

Bei den Abschnitten Methoden, Lernmodelle und Reflexion, werden bereits ein engerer Zusammenhang zur Erlebnispädagogik dargestellt und Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufgezeigt. Zentrale Merkmale in der Friluftsliv-Pädagogik sind das „Vegledning“ als Leitungsform und Methode, die Gruppe als Arbeitsform und Gemeinschaft, sowie das Lernen durch Erlebnisse zu benennen. (S.101)

Der Teil „Das Erlebnis“ wird nur kurz angeschnitten, enthält aber alle wichtigen Punkte von Begriffsdefinition über Erlebnisarmut und einer kritischen Betrachtung des Erlebnisbegriffs. Hier wird dargestellt, dass das Leben schlechthin zum Erlebnisprojekt geworden ist. (Schulze 2005, S.13) Sofortige Erlebnisbefriedigung steht im Mittelpunkt, und es entwickelt sich zunehmend ein Dienstleistungssektor, welcher sich auf die Vermittlung von Erlebnissen konzentriert. (S.110)

Im letzten Teil geht Swantje Bittner nochmals explizit auf die Parallelen und Unterschiede zwischen Erlebnispädagogik und Friluftsliv ein. Während sich die Lernziele im Großen und Ganzen ergänzen, unterscheiden sie sich in der Anwendung der Lernmodelle. Erlebnispädagogik setzt größtenteils auf das metaphorische Modell, während es in der Friluftsliv-Pädagogik nur in einer Mischform mit dem Modell „Outward Bound Plus“ zur Anwendung kommt. (S.114) Friluftsliv ist weiterhin auf eine natürliche Weise entstanden, welcher letztendlich nicht nur ein pädagogischer Ansatz ist, sondern zugleich auch ein Lebensstil in und mit der Natur.

Fazit und Ausblick

Ein kleiner Ausblick in die Zukunft verrät, dass Friluftsliv in Deutschland zwar zunehmend bekannter wird, es sich aber als aussichtslos erweist, Ansätze oder Teile aus dem Friluftsliv in das deutsche Bildungssystem zu kopieren. Denn ohne den historischen Hintergrund ergibt die Friluftsliv-Pädagogik keinen Sinn. Umgekehrt wird für die Norweger die Erlebnispädagogik nie eine große Rolle spielen. Zumal sie dort gänzlich unbekannt ist und sie sich nicht gegen das Friluftsliv behaupten könnte. (S.121) Dieses umfassende Buch von Swantje Bittner erklärt kurz und dennoch anschaulich die Entstehung des Friluftsliv in Norwegen und deren Unterschiede zur Erlebnispädagogik. Für jeden, der sich mit dem Thema Erlebnispädagogik intensiver beschäftigen möchte, ist dieses Buch absolute Pflichtlektüre.

Rezension von
Noemi Eilingsfeld

Es gibt 2 Rezensionen von Noemi Eilingsfeld.

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ISSN 2190-9245