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Paul Mecheril, Inci Dirim et al. (Hrsg.): Spannungsverhältnisse

Rezensiert von em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin, 29.09.2010

Cover Paul Mecheril, Inci Dirim et al. (Hrsg.): Spannungsverhältnisse ISBN 978-3-8309-2130-1

Paul Mecheril, Inci Dirim, Mechthild Gomolla, Sabine Hornberg, Krassimir Stojalnov (Hrsg.): Spannungsverhältnisse. Assimilationsdiskurse und interkulturell-pädagogische Forschung. Waxmann Verlag (Münster/New York/München/Berlin) 2010. 209 Seiten. ISBN 978-3-8309-2130-1. 24,90 EUR.

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Thema

Wenn man die gegenwärtig geführte Integrationsdebatte vor Augen führt, insbesondere in Verbindung mit Debatten über „Parallelgesellschaften“ oder der Auseinandersetzung um den Islam und zuletzt in Verbindung mit Auslassungen Thilo Sarrazins und deren öffentlichen Reaktionen, bekommt man den Eindruck, dass hier ein rassistischer Wissensbildungsprozess im Gang ist, wodurch der Rassismus zur Routine und zum selbstverständlichen Bestandteil der Alltagskultur wird (vgl. Erol Yildiz‘ Beitrag in diesem Sammelband). Durch pauschale und kollektive sowie ethnisierende und kulturalisierende Zuschreibungen negativer Eigenschaften auf bestimmte Migrantengruppen und Gemeinschaften in Deutschland wird Rassismus betrieben und extrem rechtes Gedankengut anschlussfähig an die Mitte der Gesellschaft gemacht, zumal rassistische Denkmuster in der so genannten Mitte der Gesellschaft tief verwurzelt sind (vgl. Studie des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer) und immer häufiger eine Banalisierung und Normalisierung rassistischer Praktiken im Umgang mit migrantischer Bevölkerung stattfindet.

Nicht in ähnlicher Art und Weise wie in der öffentlichen Diskussion, aber doch kontrovers ist auch die wissenschaftliche Diskussion über Migration und Integration, über Implikationen und Konsequenzen von Integrations-/Assimilationsdiskursen, von Sprachförder- oder Medien- und Alltagsdiskursen. Diese wissenschaftliche Diskussion um die „Spannungsverhältnisse zwischen eher einseitig Angleichungserfordernisse thematisierenden, assimilationistischen Positionen und interkulturell-pädagogischer Forschung“ (S. 9) wird in dem vorliegenden Sammelband aufgegriffen.

Entstehungshintergrund und Fragestellungen

Das Buch enthält zehn Beiträge aus einer Tagung der Sektion für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft (SIIVE) in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) von 2009. Mit ihnen werden folgende übergeordnete Fragestellungen, implizit und explizit, bearbeitet:

  • „Wie stellt sich aus der Sicht interkulturell-pädagogischer Forschung die neuerlich formulierte These dar, dass es keine Alternative zur Assimilation gebe?
  • Welche Konsequenzen für die Frage der Verbesserung von Chancengleichheit im und durch das Bildungssystem ergeben sich aus den Ergebnissen von Untersuchungen zu Mehrsprachigkeit, Diskriminierung in institutionellen und informellen Bildungskontexten und Zugehörigkeitserfahrungen in der Migrationsgesellschaft?
  • Welche wissenschaftstheoretischen und methodologischen Grundverständnisse sind bei der Analyse pädagogisch relevanter Verhältnisse der Migrationsgesellschaft angemessen?
  • Welche Konzeptionen reflexiver interkulturell-pädagogischer Forschung liegen als Alternativen zu gesellschaftliche Verhältnisse bloß konstatierenden und darin potenziell Machtverhältnisse affirmierenden Ansätzen vor? Wo liegen ihre Stärken, wo ihre Schwächen?“ (S. 9)

Herausgeberinnen und Herausgeber

Dr. Inci Dirim ist Professorin für das Fachgebiet Deutsch als Zweitsprache an der Universität Wien.

Dr. Mechtild Gomolla ist Professorin für interkulturelle und vergleichende Bildungsforschung an der Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr in Hamburg.

Sabine Hornberg ist Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Universität Bayreuth und war zuvor Projektleiterin der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) 2006 und von PIRLS 2006 Luxemburg.

Dr. Paul Mecheril ist Professor für Interkulturelles Lernen und sozialen Wandel und Leiter des Instituts für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck.

Dr. Krassimir Stojanov ist Professor für Bildungstheorie und Bildungsphilosophie an der Universität der Bundeswehr München.

Aufbau

Abgesehen von dem einführenden Beitrag von den Herausgeberinnen und Herausgebern enthält der Band zwei Teile.

1. Kritik der Integrationsdiskurse

Im ersten Teil geht es in den fünf Beiträgen um die Kritik der Integrationsdiskurse. Die Autorinnen der im Folgenden genannten Beiträge analysieren kritisch vorhandene Wissensbestände und Begründungszusammenhänge in den Diskursen über Integration, Sprachförderung, Medien und Alltag in der Migrationsgesellschaft, die von Auseinandersetzungen um Zugehörigkeit und von der Frage geprägt sind, welchem Modell das gesellschaftliche „Wir“ folgen soll (vgl. S. 9), eher dem europäischen Modell (ethnisch homogene Nationalgesellschaft) oder dem amerikanisch-republikanischen Modell (Multikulturalismus und lokale Gemeinschaften).

Der erste Beitrag von Thomas Geisen, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz, trägt den Titel: Vergesellschaftung statt Integration. Zur Kritik des Integrations-Paradigmas.

Im zweiten Beitrag beschäftigt sich Sven Sauter, Privatdozent an der FernUniversität in Hagen und Sekundarstufenlehrer am Montessori Campus Friedberg, mit der Politik der Differenz und ihre (fatalen) Effekte anhand des „Fall(es) Kelek“.

Erol Yıldız, Professor für Interkulturelle Bildung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Mitherausgeber der Reihe „Interkulturelle Studien“, zeigt auf, wie die Normalisierung kultureller Hegemonie im Alltag vonstattengeht, und geht dabei der Frage nach „Warum Adnan keinen ‚normalen Bürgersmann‘ spielen darf“.

Krassimir Stojanov befasst sich in seinem Beitrag mit dem Migrationshintergrund als Topos in gegenwärtigen Diskursen über Bildungsgerechtigkeit.

İnci Dirim geht in ihrem Beitrag „Wenn man mit Akzent spricht, denken die Leute, dass man auch mit Akzent denkt oder so.“ der Frage des (Neo-)Linguizismus in den Diskursen über die Sprache(n) der Migrationsgesellschaft nach.

2. Migrationsgesellschaftliche Bildungsräume

Der zweite Teil des Bandes enthält ebenso fünf Beiträge, in denen Ergebnisse von empirischen Studien vorgestellt und kommentiert werden, die danach fragen, wie die Verhältnisse in den Bildungsinstitutionen der Migrationsgesellschaft sind, und zwar zwischen den auf Homogenität ausgerichteten Bildungszusammenhängen und den unterschiedlichen und vielfältigen Schülerinnen und Schülern.

Bei der Studie von Sabine Hornberg, Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Universität Bayreuth, die zuvor Projektleiterin der Internationalen Grund-schul-Lese-Untersuchung (IGLU) 2006 und von PIRLS 2006 Luxemburg war, geht es um Mehrsprachigkeit. Kulturelles Kapital oder Bürde in der Schule?

Die von Nicole Bellin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich für Empirische Erziehungswissenschaft der Freien Universität Berlin, vorgestellte Studie behandelt Die soziale Zusammensetzung der Schulklasse. Zum Einfluss von Kompositionsmerkmalen auf die Leseleistungen von Grundschulkindern.

Sara Fürstenau, Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Interkulturelle Pädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, und Max von Redecker, angehender Lehrer für Philosophie und Geschichte an einem Hamburger Gymnasium, untersuchen die Verhältnisse der Anerkennung zwischen Schule und Roma-Familien. Das im Titel angeführte Zitat nimmt eines der Ergebnisse ihrer Studie bereits vorweg: - „Hier sind die Leute schon gewöhnt an Roma.“

Bernd Wagner, tätig in der Lehrerbildung an der Leuphana Universität Lüneburg, beschäftigt sich in seinem Beitrag mit Fremdsein und Statuspassage. Perspektiven für Bildungsangebote mit der Zielgruppe Neuzuwandernde.

Der letzte Beitrag von Angela Pilch Ortega Hernandez und Annette Sprung, beide wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz, untersuchen am Beispiel von Diskriminierung die Verschränkung von Wissensformen als transkulturelle (Forschungs-)Praxis.

Das Buch schließt mit Angaben zu Autorinnen und Autoren / Herausgeberinnen und Herausgebern.

Fazit

Der Sammelband umfasst eine Vielzahl von wichtigen Beiträgen einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die aus interkulturell-pädagogischer Perspektive assimiliationistische Perspektiven untersuchen und kritisch kommentieren.

Der Sammelband kann allen empfohlen werden, die sich für die Wissensbestände und Begründungszusammenhänge in den o.g. Diskursen sowie für die Ergebnisse von empirischen Studien zu migrationsgesellschaftlichen Bildungsräumen interessieren.

Rezension von
em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin
Duale Hochschule BW Villingen-Schwenningen, Fakultät für Sozialwesen
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Es gibt 110 Rezensionen von Süleyman Gögercin.

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ISSN 2190-9245