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Aktion Psychisch Kranke, Vereinigung zur Reform der Versorgung Psychisch Kranker: Psychisch kranke alte und demente Menschen (PAD)

Rezensiert von Prof. Dr. Bernd Halfar, 07.01.2011

Cover  Aktion Psychisch Kranke, Vereinigung zur Reform der Versorgung Psychisch Kranker: Psychisch kranke alte und demente Menschen (PAD) ISBN 978-3-88414-490-9

Aktion Psychisch Kranke, Vereinigung zur Reform der Versorgung Psychisch Kranker: Psychisch kranke alte und demente Menschen (PAD). Organisation und Finanzierung von personenzentrierten Hilfen. Psychiatrie Verlag GmbH (Bonn) 2009. 247 Seiten. ISBN 978-3-88414-490-9. 29,95 EUR.

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Thema

Altersdemenz und gerontopsychiatrische Erkrankungen sind in unserer Gesellschaft keine Einzelschicksale und sozialpolitische Randerscheinung, sondern Lebenssituationen, die statistisch kalkulierbar sind und von dem System sozialer Hilfen Versorgungs- und Betreuungsleistungen verlangen, welche z.T. quer zu den sozialrechtlichen Gliederungen und zu den Handlungsroutinen der Angebotsstruktur sozialer Dienstleister liegen. Das vorliegende Buch stellt sich dieser Aufgabe und, die Einschränkung kommt gleich, erledigt diese Aufgabe auch sehr gut.

Aufbau …

Laut Gliederung hat das Buch zwei Teile: den Teil 1 mit Redebeiträgen und Kommentaren einer Tagung in Berlin und den Teil 2, der einen Projektbericht mit Handlungsempfehlungen zur Organisation und Finanzierung von personenzentrierten Hilfen für psychisch kranke alte und demente Menschen beinhaltet. Eigentlich hat das Buch jedoch drei Kapitel: Vorträge der Berliner Tagung, den Projektbericht und einen Diskussionsteil.

… und Inhalt

Regina Schmidt-Zadel, Heinrich Kunze und Hans Gutzmann liefern als Einstieg einen Überblick über Problemstellungen und Konzeptionen des Versorgungssystems. Diese drei Beiträge sind kompakt und klar geschrieben, informativ und fachlich auf dem Stand der Wissenschaft und sozialpolitischen Diskussion.

Den Hauptteil des Buches umfasst der Projektbericht, der in acht Teile untergliedert ist.

Im umfassenden ersten Gliederungspunkt wird die soziologische Situation psychisch erkrankter alter Menschen beschrieben. Referiert werden die demographische Datenlage, die verschiedenen Krankheitsbilder, deren sozialen Muster und Prävalenzen, die Bedürfnisse und Bedarfe der Patienten – insbesondere deren Präferenzen für und gegen verschiedene Versorgungs- und Wohnformen, sowie die entsprechenden Konsequenzen und Orientierungen für das sozialpolitische Hilfesystem.

Im nächsten Gliederungspunkt wird dann folgerichtig grundlegend ein personenzentriertes Hilfesystem geschildert, das praktisch-präzise in ein individuelles Hilfeplansystem überführt wird. Ganz konkret, am Einzelfall orientiert, wird eine geplante Hilfestruktur aufgezeigt.

Im nächsten Schritt (und Abschnitt) widmet sich das Buch dann der Frage, wie denn diese personenorientierten Hilfen organisiert und gestaltet werden sollten. Die Autoren plädieren für Quartierskonzepte und skizzieren, auf Basis der Vorarbeiten der Bertelsmann-Stiftung und des KDA, ein quartiersbezogenes Organisationsmodell. Allerdings bleibt die Schwierigkeit nicht unerwähnt, dass in solchen Quartiermodellen -zumindest bislang- die Einbindung der Demenzkrankenversorgung noch nicht gelungen ist. Doch an dieser Stelle zeigt der Projektbericht nicht nur die Problematik auf, sondern stellt praktische Überlegungen an, wie man auch psychisch kranke alte Menschen so versorgen kann, dass diese bis zum Lebensende in ihrem Sozialraum leben können. Wer sich solche ehrgeizigen Ziele zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen in einer ganz spezifischen Lebenssituation vornimmt, wird mit der Frage nach der Steuerung der Handlungsempfehlungen konfrontiert.

Dieser Aspekt wird im vierten Kapitel des Projektberichtes aufgegriffen. Die Autoren, das gefällt zumindest dem Rezensenten, plädieren für eine ökonomische Steuerung; für politische Anreize, die Wahrnehmung der Interessen und Bedarfe der Patienten durch Leistungsanbieter als wirtschaftlich interessant erkennen zu können. Folgerichtig wird eine sozialpolitisch abzusichernde marktwirtschaftliche Methodik erläutert, die an den Nutzerinteressen nachfrageorientiert ansetzt, Anreize für Effizienzsteigerungen des Leistungssystems durch Mechanismen erkennt, die in der Dienstleistungsliteratur als „Wertketten“ bekannt sind und sozusagen ein sozialräumliches Spielfeld mit Spielregeln konstruiert, die wirtschaftliches Handeln und soziale Orientierung miteinander fruchtbar verknüpfen hilft. Wer solchermaßen sinnvolle Konzepte vorschlägt und eine Vielzahl präziser Anregungen formuliert, wie in diesem Projektbericht geschehen, muss damit rechnen, dass er im Sozialrecht einige Gegenargumente oder blinde Flecken findet.

Und so widmet sich das fünfte Kapitel des Projektberichtes den rechtlichen Aspekten. Höchst informativ werden die Sozialgesetzbücher V, VII, IX, XI danach befragt, ob denn die im Bericht vorgeschlagenen, personenzentrierten, nutzergesteuerten, quartiersorientierten, integrierten Hilfen für das spezifische Klientel sozialrechtlich abgestützt und gefördert werden können. Der Leser erfährt viel, und ganz konkret, über die Schwierigkeiten sozialrechtlicher Landkarten, Verknüpfungen und Lösungswege. Individuelle Wahlmöglichkeiten via Persönliches Budget, Hilfeempfänger-Schutzrechte (statt Heimgesetz), Leistungsausschlüsse, nicht mehr passende Pflegebegriffe, verknüpfte Leistungen, die bislang als Einzelleistungen bestehen…

Zum Abschluss findet man in diesem Projektbericht noch eine Vielzahl von Schilderungen guter Praxisbeispiele. Diese Beispiele sind nach verschiedenen Dimensionen kategorisiert: Angehörige, Wohnprojekte, Nachbarschaftshilfen, kommunalpolitische Versorgungskonzepte, professionelle Hilfesysteme und Leistungsträger (Casemanagement im Pflegebudget, trägerübergreifendes Persönliches Budget oder Demenz-Servicezentren).

Das Buch endet dann mit einem zweiteiligen Diskussionsteil. Natürlich kann man hier den ersten Diskussionsteil „Politische und ethische Aspekte“ wie immer, wenn solche Überschriften auftauchen, überblättern, und wenn man es nicht tut, wird man feststellen, dass man möglicherweise keinen einzigen neuen Gedanken gelesen hat, aber den zweiten Diskussionsteil sollte man aufmerksam lesen. Rolf D.Hirsch berichtet empirisch gestützt über Gewalt gegen Menschen mit einer demenziellen Erkrankung, Klaus Nißle über den Aufenthalt psychisch kranker alter Menschen im Allgemeinkrankenhaus, Wilhelm Stuhlmann über gerontopsychiatrische Kompetenz im Krankenhaus und es finden sich dann auch noch zwei gute Beiträge über Suizidprävention bei älteren Menschen und über präventive Hausbesuche.

Fazit

Dieses Buch ist informativ, prall gefüllt mit Informationen, mit guten Überlegungen zur besseren Versorgung psychisch kranker und dementer alter Menschen, sozialpolitisch auf der Höhe der Zeit, gut geschrieben und empfehlenswert. Empfehlenswert auch gerade deshalb, weil es soziologische, rechtliche, medizinische, ökonomische und sozialpolitische Aspekte der Problemstellung aufeinander bezieht.

Rezension von
Prof. Dr. Bernd Halfar

Es gibt 38 Rezensionen von Bernd Halfar.

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ISSN 2190-9245