Johanna Hartung: Sozialpsychologie
Rezensiert von Prof. Dr. Brigitte Bauer, 18.08.2010

Johanna Hartung: Sozialpsychologie.
Verlag W. Kohlhammer
(Stuttgart) 2010.
3., aktualisierte Auflage.
224 Seiten.
ISBN 978-3-17-021009-7.
19,90 EUR.
Reihe: Psychologie in der Sozialen Arbeit - Band 3.
Entstehungshintergrund und Zielsetzung
Die aktualisierte Auflage des 2000 veröffentlichten Bandes ist als Lehrbuch in der Reihe Psychologie für das Studium der Sozialen Arbeit erschienen mit der Zielsetzung „eine Auswahl von Themenbereichen der Sozialpsychologie, die für Handlungsfelder und Problemstellungen Sozialer Arbeit bedeutsam sein können“ anzubieten und dabei den „Transfer sozialpsychologischer Erkenntnisse auf Aspekte Sozialer Arbeit“ (S.11) exemplarisch zu skizzieren.
Autorin
Prof. Dr. Johanna Hartung, Diplompsychologin und Diplomsozialpädagogin, lehrt Sozialpsychologie an der Fachhochschule Düsseldorf im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften. Sie hat Berufserfahrungen in verschiedenen Feldern psychosozialer Praxis.
Aufbau
Der Band umfasst 8 große Kapitel mit folgenden Überschriften:
- Sozialpsychologie – eine Bezugswissenschaft für die Soziale Arbeit (S. 13-31)
- Soziale Wahrnehmung und Attribution (S. 32-60)
- Einstellungen, Einstellungsänderung und Verhalten (S. 61-84)
- Kommunikation (S. 85-103)
- Interaktion in Gruppen (S. 104-123)
- Konflikt und Kooperation zwischen Gruppen (S. 124-141)
- Aggressives Verhalten (S. 142-170)
- Prosoziales Verhalten (S. 171-197)
Inhalte und Vorgehen
Jedes Kapitel stellt eine Einführung in den angesprochenen Themenbereich dar. Die ausgewählten theoretischen Erklärungsansätze, Modelle und Experimente gehören zum sozialpsychologischen Standardwissen. Die Autorin bezieht Beispiele entweder aus dem Alltag oder der Sozialen Arbeit immer wieder so mit ein, dass die theoretischen Grundlagen auch befragt werden in ihrer Bedeutung für die Praxis, wozu die aufgeführten Experimente ebenfalls genutzt werden. Praxisbezogene Interventionen und Trainingsprogramme werden darüber hinaus sehr informativ vorgestellt, immer bezogen auf die Fragestellung. Ein weiterführender Ausblick auf einen Aspekt der Sozialen Arbeit beendet jedes Kapitel. Beim Lesen der komprimierten Einführungstexte ist der Transfer sozialpsychologischer Erkenntnisse auf die Praxis der Sozialen Arbeit auf diese Weise gut nachzuvollziehen.
Die theoretischen Erklärungsansätze, Modelle und Konzepte werden auf die jeweils bearbeiteten Themenstellungen zugeschnitten dargestellt. Das kommt der flüssigen Lesbarkeit der Texte zugute.
Dafür im folgenden ein allerdings sehr verkürztes Beispiel: Im vierten Kapitel „Kommunikation“ (S.85 – 103) werden die bereits schon als „klassisch“ zu bezeichnenden Modelle von Watzlawick und Schulz von Thun neben anderen Modellen nur so weit dargestellt und genutzt, dass eine anschauliche Einführung erreicht wird anhand von Fragen: Wie funktioniert menschliches Kommunizieren eigentlich, welches sind die Komponenten und die Modalitäten der Kommunikation, wie geschieht die soziale Steuerung durch Kommunikation, welche Kompetenzen sind bedeutsam, wie lassen sich diese Kompetenzen - aktives Zuhören und Ich-Botschaften formulieren – fördern und trainieren, was bedeutet „Sprechen als kommunikatives Handeln im Beratungsprozess“ (S. 100 – 103), wo die Brücke zur Psychotherapie und zur Sozialen Arbeit geschlagen wird mit komprimierten zusammenfassenden Darstellungen auch von Beratungskonzepten (z.B. Rogers / Bamberger 2005/ Miller und Rollnick 2009). Literaturhinweise machen es dann möglich, die ausgewählten Theorien, Modelle, Konzepte, Ergebnisse von Untersuchungen sowie die vorgestellten Trainingsprogramme für Gruppen und Familien detailliert nachzulesen und zu vertiefen.
Diskussion
Der Band bietet als Einführung einen Überblick über ausgewählte sozialpsychologische Themenbereiche mit einem speziell auf die Soziale Arbeit abgestimmten Praxisbezug. Die Sozialpsychologie als empirische Wissenschaft wird lebendig anhand der zahlreichen Experimente, die bei den Lesern und Leserinnen auf Interesse stoßen und zum Nachdenken anregen dürften. Auch kritische Reflexionen experimenteller Vorgehensweisen legt die Autorin nahe – so bei der ausführlichen Darstellung des Experimentes zur Gehorsamsbereitschaft von Milgram (Kapitel 1 S. 22 – .28), auf das sie sich wiederholt bezieht (Vgl. Kapitel 7: Aggressives Verhalten S.146)
Da eine Auswahl als repräsentativ erachteter sozialpsychologischer Inhalte immer auch der theoretischen Orientierung und den Vorlieben der Autorin unterliegt, bleibt zu fragen: Was fehlt oder was tritt eher in den Hintergrund? In dem vorliegenden Band werden Inhalte zu „Gender/ Soziales Geschlecht“ eher ausgespart, Begriffe, die auch nicht im Schlagwortregister zu finden sind.
Die Texte sind durchweg gut zu lesen, verzichtet wird jedoch auf Veranschaulichungen der Darstellungen durch Tabellen oder in die Texte eingefügte Bilder, die bei einigen Experimenten aussagekräftig gewesen wären, wie beispielsweise bei dem Experiment von Milgram (S.23 – 24) oder dem von Asch (S.33). Hätten aufwendigere Textgestaltungen vielleicht die guten preislichen Kalkulationen gefährdet? Der Preis für dieses Lehrbuch ist nämlich sehr günstig: 19,90 Euro (D).
Fazit
Das vorgestellte Buch ist theoretisch anspruchsvoll sowie alltags- und praxisorientiert. Es bietet eine gut gelungene Theorie-Praxis-Mischung, ist anregend und informativ und gerade deshalb sowohl für Studierende und Lehrende als auch für praktisch tätige SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen empfehlenswert. Das im Vorwort zu diesem Band gegebene Versprechen, einen „Transfer sozialpsychologischer Erkenntnisse auf Aspekte Sozialer Arbeit“ (S.11) zu leisten, wird eingelöst in dem Sinne, dass der unverzichtbare Beitrag der Sozialpsychologie für die Soziale Arbeit als Angebot zu einer auf Anwendung bedachten Reflexion von Praxis hervorragend zu nutzen ist. Gleichfalls eignet sich die Lektüre des Bandes auch als erste Einführung in die theoretische und experimentelle Sozialpsychologie, wenn dabei der Blick auf Anwendung und Praxis nicht verloren gehen soll.
Rezension von
Prof. Dr. Brigitte Bauer
(im Ruhestand), Dipl. Psych., Psychologische Psychotherapeutin
Fachhochschule Münster ; Fachbereich Sozialwesen
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Zitiervorschlag
Brigitte Bauer. Rezension vom 18.08.2010 zu:
Johanna Hartung: Sozialpsychologie. Verlag W. Kohlhammer
(Stuttgart) 2010. 3., aktualisierte Auflage.
ISBN 978-3-17-021009-7.
Reihe: Psychologie in der Sozialen Arbeit - Band 3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9516.php, Datum des Zugriffs 07.06.2023.
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