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Tabandeh Moghadam: Weibliche Sexualität im Spannungsfeld von Islamisierung [...]

Rezensiert von Prof. (i.R.) Dr. Margrit Brückner, 22.02.2011

Cover Tabandeh Moghadam: Weibliche Sexualität im Spannungsfeld von Islamisierung [...] ISBN 978-3-8300-4838-1

Tabandeh Moghadam: Weibliche Sexualität im Spannungsfeld von Islamisierung und westlicher Moderne. Eine rekonstruktive Analyse von Biographien iranischer Frauen in Deutschland. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2010. 347 Seiten. ISBN 978-3-8300-4838-1. 78,00 EUR.
Schriftenreihe gender studies - Band 16.

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Thema

Gegenstand des Buchs sind Biografien nach Deutschland migrierter iranischer Frauen mit dem Schwerpunkt sexueller Erfahrungen in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten.

Autorin

Die Autorin stammt selbst aus dem Iran, eigene biografische Angaben werden nicht gemacht

Entstehungshintergrund

Bei der Veröffentlichung handelt es sich um eine Qualifikationsarbeit (Promotion).

Aufbau und Inhalt

1. Theoretischer Hintergrund (Kap. 1 – 4).Zu Beginn führt die Autorin kenntnisreich in die historische Entwicklung der iranischen Gesellschaft unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen ein und macht deren ambivalente Position als Garantin des und Unterworfene im derzeitigen Regime deutlich. Anschließend werden:

  • verschiedene Migrationstheorien vorgestellt und die Rolle von Iranerinnen in Deutschland skizziert,
  • sexualtheoretische Ansätze seit Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft referiert,
  • Intersektionalitätstheorien kritisiert.

Der Theorieteil schließt mit dem Anliegen der Studie, sie „analysiert die prozessuale Entwicklung der Sexualität im sozio-kulturellen Kontext der Befragten, im ideologisierten Rahmen ihres Herkunftskontextes und unter Einbeziehung der herrschenden gesellschaftlichen Leitbilder und heterosexuellen Normierungen“ (87/88).

2. Methodischer Teil (Kap. 5+6).Ausführlich werden die Bedeutung der Biografieforschung und die verschiedenen Ansätze – teils unter Rückkehr zu sozialisationstheoretischen Fragen – vorgestellt. Die Autorin greift bei ihrer narrativ angelegten Studie auf Ansätze von Rosenthal, Schütze und Glaser/Strauss zurück. Der Zugang zu den insgesamt 15 zumeist mehrfach interviewten Frauen, von denen 4 ausführlich vorgestellt werden, erfolgte über ihre Kontakte zur iranischen Community. Interessant wäre eine Reflexion der Zugehörigkeit der Autorin zu dieser Community und deren methodischen Auswirkungen gewesen. Ausgewertet wurden die Interviews in ihrer psychodynamischen als auch ihrer historisch-kulturellen Dimension nach der Methode der biografischen Fallrekonstruktion.

3. Fallrekonstruktionen der 4 Frauen, deren Vergleich und theoretische Einordnung (Kap.7-9). Die Vorstellung der Lebensschicksale der vier sehr unterschiedlichen Frauen ist sehr berührend, da sie deutlich machen, wie gefährdet die Frauen im Iran aufgrund ihrer unterschiedlichen Normabweichungen waren und wie mutig sie sich darüber in verschiedenen Graden und mit verschiedenen Motiven hinweggesetzt haben. Die Gründe für die Migration sind ebenfalls sehr individuell, allen gemeinsam ist aber der schwierige neue Start in Deutschland und bei allen neuen Problemen zumindest eine größere persönliche Freiheit bezogen auf Sexualität und Wahl der Lebensform. Herausragend ist das Schicksal von Lili, einer politischen Aktivistin, verhaftet und gefoltert, der die Flucht nach Deutschland gelingt, die weiterhin politisch aktiv ist und es schafft, sich ein neues Leben nach schweren Verlusten aufzubauen. Diese Lebensgeschichten werden von der Geburt bis heute sehr differenziert - mit Bezügen zu theoretischen Annahmen – in ihrer Besonderheit und ihrem Ringen um Autonomie dargestellt und sind sehr interessant zu lesen. Der Vergleich der Biografien konzentriert sich auf den individuellen Umgang mit den Rahmenbedingungen, mit der Sexualität und der biografischen Relevanz von Sexualität. Bei den abschließenden theoretischen Überlegungen ist besonders bemerkenswert die Bedeutung „heimlicher Räume“ unter den im Iran herrschenden Bedingungen und die verschiedenen Grade der Neupositionierung durch die Migration.

Diskussion

Spürbar ist an einigen Stellen, dass es sich um eine Qualifikationsarbeit handelt, d.h. für eine Buchfassung hätten einige theoretische und methodische Aspekte gekürzt werden können. Zudem wäre eine engere Zusammenführung theoretischer und empirischer Erkenntnisse durch den Gesamttext hindurch etwas lesefreundlicher gewesen und mehr Originaltext der befragten Frauen hätte die Auswertung noch anschaulicher gemacht. Trotz dieser kleineren Einschränkungen handelt es sich um ein lesenswertes und interessantes Buch, das einen Einblick in die komplexe Lebenssituation iranischer Migrantinnen und die äußerst schwierigen Lebensbedingungen für Frauen im Iran vermittelt.

Fazit

Die Arbeit ist eine gut lesbare, gleichwohl wissenschaftlich anspruchsvoll geschriebene empirische Studie über die Lebensverläufe von vier iranischen Migrantinnen, insbesondere deren sexuelle Entwicklung und sexuellen Vorstellungen im Herkunfts- und im Aufnahmeland, die in verschiedene zum Thema gehörende Wissensgebiete auf dem derzeitigen Stand der Geschlechter- und Migrationsforschung einführt.

Rezension von
Prof. (i.R.) Dr. Margrit Brückner
Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit
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Es gibt 4 Rezensionen von Margrit Brückner.

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Zitiervorschlag
Margrit Brückner. Rezension vom 22.02.2011 zu: Tabandeh Moghadam: Weibliche Sexualität im Spannungsfeld von Islamisierung und westlicher Moderne. Eine rekonstruktive Analyse von Biographien iranischer Frauen in Deutschland. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2010. ISBN 978-3-8300-4838-1. Schriftenreihe gender studies - Band 16. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9538.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.


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