Anke Neuber: Die Demonstration, kein Opfer zu sein
Rezensiert von Prof. Dr. jur. Dr. phil. Christoph Nix, 14.07.2010
Anke Neuber: Die Demonstration, kein Opfer zu sein. Biographische Fallstudien zu Gewalt und Männlichkeitskonflikten.
Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2009.
203 Seiten.
ISBN 978-3-8329-4056-0.
39,00 EUR.
CH: 65,90 sFr.
Reihe: Interdisziplinäre Beiträge zur kriminologischen Forschung - Band 35.
Thema
Gewalt ist immer konkret. In den letzten Jahren, man möchte sagen Jahrzehnten, ist die Untersuchung von totalen Institutionen, wie es das Gefängnis darstellt, in den Hintergrund getreten. Die Eingeschlossenen sind uninteressant geworden. Allenfalls interessiert, wie lange man sie sicherungsverwahren könnte.
Entstehungshintergrund
Anke Neuber ist im Rahmen einer Dissertation der Gewalterfahrung und der Gewaltausübung auf die Spur gegangen. Sie hat in 30 Interviews im Rahmen von zwei aufeinanderfolgenden, qualitativen Längsschnittuntersuchungen sich mit inhaftierten, jungen Männern beschäftigt, alles im Kontext der Frage „Gefängnis und die Folgen“. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen ist ein Ort der kritischen Empirie. Man forscht dort sein Jahzehnten über den Zusammenhang von gesellschaftlicher Gewalt und ist in einem guten Sinne bestrebt Alltagstheorien zu widerlegen.
Inhalt
Geändert hat sich an den sozialen und politischen Verhältnissen dennoch wenig. Weder Rot-Grün, noch Schwarz-Gelbe Regierung sind an der Situation und Biographie von Inhaftierten interessiert und so scheint alles beim Alten zu bleiben, alles will sagen was Guftmann 1973 oder Harbordt 1972 erforscht haben, findet sich auch in den Studien von Neuber bestätigt. Bei manchen wird die Kindheit idealisiert (S. 46 fortfolgende), bei anderen ist es das Trauma der Trennung von Eltern oder auch Großeltern (S. 61 fortfolgende), viele Männer erleben eine große innere Leere und so wird Gewalt, ein Ausdruck von Kontrollverlust, im Zusammenhang mit biographischer Trennungserfahrung, entsteht meist aus Überforderung im Kontext biographischer Autonomiekonflikte (S. 112 fortfolgende) und das Gefängnis macht alles nur schlimmer.
Wir wissen auch, dass Gewalt immer die andere Kehrseite von Idealisierung ist und deshalb ein Mittel der Anerkennung im Kontext biographischer Zugehörigkeitskonflikte (S.162) „Um den tieferen Zusammenhang von Gewalt und Männlichkeit zu beleuchten, bedarf es eines biographischen Konzeptes. Biographie wird als Vermittlung von Struktur und Handel, von Subjekt und Gesellschaft verstanden. Dabei wird Vermittlung jedoch nicht als glatte Brücke gedacht. Das Verhältnis zwischen Struktur und Handeln entspricht weder dem Bild, einer Kluft, noch dem Bild eines nahtlosen Übergangs.“
Fazit
So bestätigt die Autorin einen strukturellen Theorieansatz und gibt ein Beispiel trauriger Lebensgeschichten, was wir aber bereits wussten (Bourdieu lenkt den Blick auf symbolische Ordnungen), aber was mir fehlt ist so etwas wie eine Radikalkritik an der Institution, etwas, das über die Tatsache hinaus geht, dass Gewalt im Kontext von Männlichkeit immer gewaltiger wird.
Rezension von
Prof. Dr. jur. Dr. phil. Christoph Nix
Intendant Theater Konstanz
Professor an der Universität Bremen
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Es gibt 8 Rezensionen von Christoph Nix.
Zitiervorschlag
Christoph Nix. Rezension vom 14.07.2010 zu:
Anke Neuber: Die Demonstration, kein Opfer zu sein. Biographische Fallstudien zu Gewalt und Männlichkeitskonflikten. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2009.
ISBN 978-3-8329-4056-0.
Reihe: Interdisziplinäre Beiträge zur kriminologischen Forschung - Band 35.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9581.php, Datum des Zugriffs 13.01.2025.
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