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Anton Leitner: Handbuch der integrativen Therapie

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 06.08.2010

Cover Anton Leitner: Handbuch der integrativen Therapie ISBN 978-3-211-99734-5

Anton Leitner: Handbuch der integrativen Therapie. Springer (Berlin) 2010. 333 Seiten. ISBN 978-3-211-99734-5. D: 59,95 EUR, A: 59,95 EUR, CH: 87,00 sFr.

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Autorinnen und Überblick

Anton Leitner ist Mediziner, Psychotherapeut und Supervisor und arbeitet als Leiter der Abteilung Psychosoziale Medizin und Psychotherapie der Universität Krems, ist Beiratsmitglied für Psychotherapie des Österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit und setzte sich über viele Jahre für die Anerkennung der Integrativen Therapie als staatlich anerkanntes Verfahren ein, welche seit 2006 seit als 20. Psychotherapieverfahren in Österreich zugelassen ist. Leitner war maßgeblich am Aufbau eines Studienprogramms zum Akademischen Psychotherapeuten und an einem Masterprogramm „Master of Science (Psychotherapie)“ an der Donau-Universität Krems beteiligt. Der Autor ist seit Jahren mit der Entwicklung und der Messung der Effektstärken der Integrativen Therapie befasst. Im vorliegenden Band werden die theoretischen Grundlagen und eine Reihe von Effektivitätsstudien der letzten 15 Jahre zusammengefasst.

Aufbau und Inhalt

Das umfangreiche Handbuch ist in acht Abschnitte unterteilt.

Im ersten Kapitel werden zunächst zentrale geschichtliche Quellen, die Schnittstellen zu den Bezugswissenschaften und anderen Psychotherapieverfahren beschrieben. Dabei spannt Leitner den Bogen von frühreligiösen, magischen Gesundheits- und Behandlungsvorstellungen über die Pioniere der Psychotherapie (Freud, Ferenczi, Perls) bis zum New Public Health, der Gesundheitspsychologie, Psychosomatik und Philosophie (Marcel, Merlau-Ponty, Foucault, Derrida).

Darauf aufbauend wird im zweiten Kapitel die Entwicklung der Integrativen Therapie durch ihre Gründerpersönlichkeiten (Petzold u. a.) als zentrales Verfahren der seit den 1960er Jahren neuen Integrationsrichtung der Psychotherapie vorgestellt und nachvollziehbar gemacht. Vor dem Hintergrund einer metatheoretischen Wissensstruktur (etwa philosophischen Ansätzen), werden Theorien „mittlerer Reichweite“, etwa klinische Theorien und praxisbezogene Überlegungen ausformuliert. Für den Leser ergibt sich die Möglichkeit die jahrzehntelange Entwicklung, die aufeinander aufbauende Bezug-nahme auf unterschiedliche Theorie- und Praxisansätze und deren Verbindung (Integration) nachzuvollziehen.

Im dritten Kapitel werden die zentralen Konzepte und Grundregeln der Integrativen Therapien erörtert und der Versuch einer Abgrenzung, bzw. eine Standortbestimmung in Bezug auf Spiritualität und Esoterik unternommen. Zentrale Begriffe (Leib, Körper, Seele, Geist) werden definiert und in einen theoretischen Bezugsrahmen gesetzt. Grundsätze der therapeutischen Arbeit, die Intersubjektivität der therapeutischen Beziehung, Mehrebenenreflexion, hermeneutische Grundhaltung etc. werden erläutert. In Abgrenzung zu esoterischen Ansätzen formuliert Leitner: „Bestätigung für die Erklärung des menschlichen Verhaltens bezieht die Integrative Therapie aus der Naturwissenschaft und dem neurobiologischen Ansatz“ (130).

Das vierte Kapitel ist dem Persönlichkeitsverständnis in der Integrativen Therapie, vor allem der Persönlichkeitsentwicklung und den Begriffen „Selbst“, „Ich“ und „Identität“ gewidmet. Die Integrative Therapie fußt auf einem klinisch-entwicklungspsychologischen Konzept über die Lebensspanne („Life-Span-Development-Ansatz“, 135). Vorgeburtliche und sozialisatorische Eindrücke entfalten ihre Wirksamkeit in der „Ko-respondenz“ (135), der Mensch wird dabei grundsätzlich als soziales Wesen verstanden.

Im Sinn eines bio-psycho-sozialen Verständnisses wird im fünften Kapitel eine Theorie zur Entstehung von gestörtem Erleben und Verhalten und von Gesundheit formuliert. Zentrales Element des Störungsverständnisses der Integrativen Therapie ist die Zusammenschau, die Gleichzeitigkeit pathogenetischer und salutogenetischer Faktoren, die Suche nach und Benennung von Risikovariablen, welche eine Störung ausgelöst haben und das Erkennen von Ressourcen, von Fähigkeiten, Kompenstations- und Gestaltungsmöglichkeiten. Als Auslösemomente von Störungen und Krankheiten werden genetische und somatische Einflüsse und Dispositionen; Entwicklungsschädigungen in den ersten Lebensjahren und in der Lebensspanne; ungünstige psychosoziale Einflüsse; Negativkarrieren im Lebenslauf; verinnerlichte Negativkonzepte; aktuelle Belastungsfaktoren (Critical-Life-Events) und ungeklärte Belastungsfaktoren benannt. Dem ganzheitlichen Prinzip der Risiko- und Ressourcenbetrachtung folgend werden als gesundheitsfördernde Faktoren die Entwicklungsförderung in den ersten Lebensjahren und in der Lebensspanne; konstruktive psychosoziale Einflüsse; Positivkarrieren im Lebenslauf; verinnerlichte Positivkonzepte und positiv wirksame aktuelle Unterstützungsfaktoren benannt.

Die Theorie menschlichen Handelns in der Integrativen Therapie ist Gegenstand des sechsten Kapitels. Wichtige phänomenologische, hermeneutische, systemische, tiefenpsychologische sowie behaviorale Grundlagen sowie die relevanten Erkenntnisse aus Sozialwissenschaften und der Evolutions- und Neurobiologie werden benannt und im Sinne des Verfahrens „integriert“.

Aufbauend aus dem im vorangehenden Abschnitt Benannten werden im siebten Kapitel Praxis und Anwendbarkeit der Integrativen Therapie vorgestellt. Hier bestechen die ausführlichen Fallvignietten. Leitner schafft es die im Handbuch in stark komprimierter Form gebündelte Theorie und Methodik anschaulich und gut nachvollziehbar auf die Praxisebene zu stellen, wodurch eine sehr hohe Nachvollziehbarkeit erreicht wird. Der Abschnitt wird durch eine exemplarische Übersicht zu den Anwendungen der Integrativen Therapie in unterschiedlichsten Feldern (Gerontopsychiatrie, Familientherapie, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Psychosomatik, Orthopädie, Sucht, Traumatherapie) mit weiterführenden Literaturhinweisen ergänzt, wodurch eine rasche Orientierung bzgl. Spezialfragen erreicht wird.

Im achten Abschnitt wird ein Überblick zu durchgeführten Effektivitätsstudien der letzten 15 Jahre und eine aktuelle umfassende empirische Studie vorgestellt, welche die Effektivität der Integrativen Therapie belegen. Die umfassendste Kritik an der Integrativen Therapie zielte auf das Fehlen empirischer Wirksamkeitsbelege. Anton Leitner gibt einen Entwicklungsüberblick zu 15 Jahren Wirksamkeitsforschung. Vorgestellt werden zwei länger zurück liegende Studien und vor allem eine jüngst abgeschlossene Untersuchung vom Autor Selbst. Leitner gibt hier einen genauen Einblick in Studiendesign, -durchführung und Auswertung. Die Studie belegt positive Effekte in den Bereichen Symptombelastung, interpersonales Verhalten, Lebenszufriedenheit und Änderungen im sozialen Netzwerk.

Der Band wird durch ein umfassendes Literatur- und Sachverzeichnis ergänzt.

Diskussion

Das von Anton Leitner vorgelegt Handbuch zur Integrativen Therapie verfolgt verschiedene Zielrichtungen. Einmal soll die ideengeschichtliche Entwicklung einer „schulenübergreifenden Therapieschule“ nachvollziehbar gemacht werden. Gleichzeitig sollen die zentralen Begriffe, Theorien und „Techniken“ vermittelt werden. Als Praxis-Handbuch soll zudem ein Kompendium mit hohem Anwendbarkeitsnutzen zur Verfügung gestellt werden. Mit der Präsentation wichtiger und aktueller Forschungsergebnisse soll zudem erreicht werden, die empirisch belegte Effektivität der Integrativen Therapie nachvollziehen zu können. All dies gelingt dem Autor erstaunlich umfassend, fundiert und in klar verständlicher Sprache.

Die wichtigen Bezugspunkte der Integrativen Therapie in Philosophie, Tiefpsychologie, kognitiver Verhaltenstherapie, Neurowissenschaften und Theologie werden zusammengefasst dargestellt. Damit konstruiert Leitner ein Grundgerüst für eine Theorie der Integrativen Therapie, ein wichtiger Schritt für diese Form der Psychotherapie, der das Fehlen eines solchen theoretischen Gebäudes lange vorgeworfen wurde. Leitner formuliert kein neues Verfahren sondern fasst eine Fülle von Literaturstellen und Entwicklungssträngen zusammen und schafft so einen aktuellen Überblick zum gegenwärtigen Entwicklungsstand des Verfahrens, das nach eigenem Selbstverständnis kein statisches Vorgehen, sondern ein Verfahren im Fluss, in Entwicklung ist. Positiv fällt auf, dass das aktive „integrieren“ des Verfahrens erläutert und exemplarisch erläutert wird (115), wodurch –erneut- belegt wird, dass die Integrative Therapie kein naives unreflektiertes addieren von unterschiedlichsten Ansätzen und Theorien ist. Durch die –überzeugend- dargelegten empirischen Forschungsbefunde zur Effektivität der Integrativen Therapie gelingt Anton Leitner ein weiterer und wichtiger Schritt zur Verbreitung des Verfahrens.

Zielgruppe

Anton Leitner wendet sich mit seinem Handbuch an alle in Gesundheitsberufen tätige Personen, sowohl an Einsteiger, als auch bereits langfristig psychotherapeutisch Tätige. Dabei geht es ihm neben der Wissensvermittlung vor allem auch darum den Diskurs um methodische Fragestellungen im Sinn der Methodenintegration und der Auseinandersetzung um Partizipationsinteressen der Patientinnen und Patienten anzustoßen. Das Handbuch ist in einer durchweg verständlichen Sprache geschrieben, so dass es diesem Anspruch problemlos gerecht wird.

Fazit

Das Handbuch Integrative Psychotherapie gibt einen umfassenden Überblick des psychotherapeutischen Ansatzes. Durch die zahlreichen Fallbeispiele erreicht Anton Leitner einen hohen Praxisbezug der Beginnern und langjährig Tätigen in Beratung und Therapie die Möglichkeit eröffnet den integrativen Ansatz in die Praxis umzusetzen. Das der Integrativen Therapie zugrunde liegende bio-psycho-soziale Paradigma weist eine hohe Passung zu Beratungs- und Behandlungsansätzen in anderen Disziplinen, z. B. der Klinischen Sozialarbeit auf, so dass die Lektüre des Handbuchs auch für KollegInnen der Sozialen Arbeit von Gewinn ist.

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 177 Rezensionen von Gernot Hahn.

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Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 06.08.2010 zu: Anton Leitner: Handbuch der integrativen Therapie. Springer (Berlin) 2010. ISBN 978-3-211-99734-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9645.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


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