Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Daniela Michaelis, Gerhild Bachmann (Hrsg.): Lebenslanges Lernen - freudvoll und integral

Rezensiert von Prof. Dr. Jochen Schmerfeld, 24.11.2010

Cover Daniela Michaelis, Gerhild Bachmann (Hrsg.): Lebenslanges Lernen - freudvoll und integral ISBN 978-3-8382-0063-7

Daniela Michaelis, Gerhild Bachmann (Hrsg.): Lebenslanges Lernen - freudvoll und integral. ibidem-Verlag (Hannover) 2010. 140 Seiten. ISBN 978-3-8382-0063-7. 24,90 EUR.
Reihe: Integrale Pädagogik - 1.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Das Buch von Bachmann und Michaelis beschäftigt sich mit„ Selfcare als Ressource für die Schule im 21. Jahrhundert“ (7) und entwirft in groben Zügen das Konzept einer „Integralpädagogik“ sowie wesentlich detaillierter und konkreter eine Methode der Körperarbeit, die als Grundlage zur Förderung von Selfcare dienen soll. Das Buch besteht aus verschiedenen Texten zu dieser Thematik von verschiedenen Autorinnen (an allen bis auf einen Text ist jeweils eine der Herausgeberinnen mindestens als Co-Autorin beteiligt).

Herausgeberinnen

Daniela Michaelis ist Assistentin am Institut für Erziehungswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz und verfügt neben dem Hochschulabschluss und Promotion über diverse Ausbildungen: u.a. als BREEMA-Instructor, Enneagrammberaterin, Systemische Beraterin, Gestaltpädagogin, Suggestopädin, Theaterpädagogin.

Gerhild Bachmann ist Assistenzprofessorin am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz und Vorsitzende der Curricula-Kommission Pädagogik

Aufbau und Inhalt

Die Textsammlung ist in drei Abschnitte gegliedert.

Das 1. Kapitel ist überschrieben: „Integrale Schule – Aspekte einer umfassenden Lernkultur“ und enthält nur einen Text, der unter der Überschrift „Integrale Schule – ein freudvoller Lernort für alle“ einige Grundannahmen der Integralpädagogik vorstellt.

Im 2. Kapitel „Selbstsorge für Lehrer/innen und Breema®-Prinzipien“ geht es in drei Texten um die Förderung der Selbstsorge durch eine Technik der Körperarbeit, genannt Breema (für weitere Informationen siehe: http://www.weltanschauungsbeauftragte.elk-wue.de/fileadmin/mediapool/einrichtungen/E_weltanschauungsbeauftragte/D, 26.9.10)).

Im 3. Kapitel geht es um die „Integrale Pädagogik in der Lehrer/innen- und Kindergärtner/innenbildung“. In zwei Texten wird das Konzept der Integralen Pädagogik in der Vorschulpädagogik und in einem transnationalen Projekt der Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern beschrieben. Das Konzept der ‚Integralpädagogik‘ wird u.a. so erläutert: „Sie beleuchtet den westlich tradierten Wissenschaftsbegriff und erweitert ihn um Qualitäten, die man dem östlichen Verständnis zuordnen könnte, wie Achtsamkeit, inneres Gewahrsein, Transdisziplinarität, Zeitfreiheit (Jetzt), Intersubjektivität und Begleitung“(13) Damit einher gehe eine Erweiterung des Denkrahmens in neue Paradigmen, die mit Bezug auf Ken Wilber als prätranspersonales und transpersonales Paradigma bezeichnet werden (13). Als wesentliche Elemente des prätranspersonalen Paradigmas werden genannt:

  • Achtsamkeit,
  • Respekt und Akzeptanz,
  • Staunen und Dialogfähigkeit,
  • Bewusstsein und Wachheit in der Rede,
  • selbstreflexives Denken,
  • spirituelles Wachstum,
  • spirituelle Intelligenz, von der Ich-Identifikation zur Desidentifikation als Tor zur Erkenntnis (vgl. S.19)

Dies wird entgegengesetzt dem sogenanntem traditionell-mechanistischem Paradigma, das mit den folgenden Stichworten(!) beschrieben wird:

„Rationalität, Kausalketten, Linearität, Zerlegung, Steuerbarkeit/Kontrolle, Widerspruchsfreiheit, Fremdorganisation, Eindimensionalität, linear-kausales Denken, Lokalität“ (50). Das Verhältnis der Paradigmen wird als Spirale beschrieben. Die Rede ist „von einer Paradigmenspirale, die die unteren Paradigmen jeweils disidentifiziert, transzendiert und in das nächste Paradigma miteinschließt.“ (17) Es gehe also nicht um ein ‚Entweder-oder-Denken‘, sondern um eine ‚Sowohl-Als-Auch-Haltung‘ (S.17). Der Übergang vom ‚traditionell-mechanistischen‘ zum prätranspersonalen Paradigma wird – wenn auch grob und stichwortartig – beschrieben, was fehlt, ist eine Beschreibung des sogenannten transpersonalen Paradigmas.

Die Paradigmenspirale, insbesondere der Aufstieg vom traditionell-mechanistischen zum prätranspersonalen Paradigma wird als Grundlage bezeichnet sowohl für die integrale Pädagogik als auch für die Selbstsorge der Lehrerinnen und Lehrer in einer ‚integralen Schule‘ (das wäre eine Schule, die nach dem Konzept der integralen Pädagogik funktioniert).

Hinzu komme dann als Grundlage der Selbstsorge die Breema-Technik, die so beschrieben wird: „ Mit BREEMA® (Sanskritwort: göttliche Liebe) gibt es einen Zugang zu sich selber, der das Gewohnte sprengen kann. Äußerlich gesehen sind es zwar Körperübungen, im wesentlichen geht es jedoch um Prinzipien, die durch diese zu lernenden Köperbehandlungen an einem Partner/einer Partnerin oder an sich selber geübt werden, um im eigenen Leben in jedem neuen Moment heilend und Muster unterbrechend wirksam werden zu können.“(36)

In allen Texten wird eine grundlegende Veränderung der Pädagogik, vor allem der Schulpädagogik propagiert, die die Autorinnen durch die Anwendung des integralpädagogischen Ansatzes auf der Basis des sogenannten prätranspersonalen Paradigmas in Verbindung mit der Breema-Technik erwarten bzw. in Aussicht stellen.

Zur Begründung der Notwendig einer solchen grundlegenden Veränderung verweisen sie durchaus auf bekannte Autoren wie etwa Peter Senge (Autor der „5. Disziplin“) und des von ihm vertretenen Konzept der lernenden Organisation oder auf Thomas Kuhns Theorie der Paradigmenwechsel in der Wissenschaft. Wenn es jedoch darum geht, die Wege der Veränderung konkret zu beschreiben, greifen die Autorinnen ausschließlich auf die genannten esoterischen Konzepte und Theorien zurück.

Zielgruppen

Die von den Autorinnen anvisierten Zielgruppen dürften Lehrerinnen und Lehrer und mit Einschränkung Erzieherinnen und Erzieher sein. Es ist zu vermuten, dass dieses Buch sich vornehmlich an die AnhängerInnen des in diesem Buch vertretenen esoterischen Ansatzes wendet.

Diskussion

Wer aufgrund des Titels eine inhaltliche Beschäftigung mit Konzepten, Problemen und Chancen lebenslangen Lernens erwartet, wird enttäuscht. Dieser Titel verspricht etwas, was die Texte nicht halten. Zwar lässt sich ein loser Zusammenhang zum lebenslangen Lernen konstruieren, wenn man die Implikationen der dargestellten Konzepte bedenkt, dieser wird aber nirgendwo expliziert. So wird zwar die Frage gestellt: „Welche Anhaltspunkte können gegeben werden, um die Selbstsorge bei Lehrer/Innen im Sinne eines lebenslangen Lernens für eine interaktive Schule mit einem integralen Anspruch zu fördern?“ (35) Die Antwort lautet dann aber: „Theoretisch ist es sehr einfach. … Unseres Ermessen nach könnte eine mögliche Unterstützung BREEMA® sein.“ (35)

Solche Aussagen finden sich neben scheinbar philosophisch tiefgründigen wie der folgenden: „Die Zeit der integralen Schule des Menschen ist die Zeitlosigkeit des sich wandelnden Gegenwärtigen“ (53)

Bezüge auf gegenwärtig populäre Wissenschaftsgebiete finden sich etwa in dieser Form: „Das Gehirn ist so aufgebaut, dass es gelingende Beziehungen will und Vertrauen ist dabei die zentrale Ressource.“ (56)

Größere, ja universale Kontexte werden angesprochen: Prinzipien des Universums, Globalisierung, grundlegende Veränderungen der Wirklichkeit, aber was die Autorinnen darunter verstehen, wird nicht expliziert. Es bleibt bei bloßen Nennungen oder Spiegelstrichaufzählungen von Prinzipien (s.o.). So bleibt die Argumentation für die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen von Pädagogik und Schule dichotomisierend (z. B. altes Paradigma vs. neues Paradigma) und undifferenziert. Die Inanspruchnahme des Paradigmakonzept von Thomas Kuhn mag hierfür ein Beispiel sein. Die Rede ist von der Notwendigkeit für Lehrerinnen und Lehrer den eigenen „Denkrahmen“ zu hinterfragen: „Die Annahmen über eine bestimmte Denkwelt haben sich in der Vergangenheit in verschiedenen Disziplinen immer wieder geändert. Thomas Kuhn, Vater der Paradigmenwelten, gibt dazu Hintergrundwissen. Kuhn meint mit Paradigma ein vorherrschendes Denkmuster einer bestimmten Zeit. Dieses ist solange anerkannt, bis Phänomene auftreten, die mit der gültigen Lehrmeinung nicht mehr übereinstimmen. Neue Theorien werden gesucht und wenn sich diese durchsetzen, spricht Thomas Kuhn von Paradigmenwechsel (vgl. Wikipedia.org, Stand: 2009-11-30)“ (16) Der Paradigmabegriff wird hier entgegen den Ausführungen bei Kuhn (darauf wird sogar in dem als Quelle angegeben Wikipedia-Artikel hingewiesen) gleichbedeutend mit ‚Denkrahmen‘ verwendet. Die kritische Diskussion der Kuhn‘schen Theorie wird hier ebenfalls unterschlagen mit dem Ergebnis, dass man sie glaubt in Anspruch nehmen zu können, um den als Weiterentwicklung verstandenen Übergang von einem sogenannten „traditionell-mechanistischem Paradigma“ zu einem „prätranspersonalen und zu einem transpersonalen Paradigma“ zu postulieren. Was unter diesen vermeintlichen Paradigmen zu verstehen sei, bleibt weitgehend unklar. Zwar werden das traditionell-mechanistische und das prätranspersonale Paradigma in Stichworten beschrieben (s.o.), aber diese Stichwortlisten lassen viele Interpretationen zu und geben manches zu verstehen, eine präzise und an den Diskussionsstand (hier insbesondere die Diskussion des Inkommensurabilitätsproblems) anschließende Bestimmung fehlt jedoch. So bleibt auch unklar, was unter Integralpädagogik zu verstehen ist. Zwar erfährt man, dass sie sich aus dem „prätranspersonalen Paradigma“ entwickle und wird ebenfalls mit einer Stichwortliste dazu (s.o.) versorgt, aber auch hier fällt die mangelnde Präzision und Konkretion sowie die fehlende Darstellung von (Denk-)Zusammenhängen auf. Konkret werden die Texte schließlich, wenn es um die Darstellung der Breema-Technik, einer Methode der Körperarbeit geht (so vor allem in zwei Texten der Herausgeberinnen: Selfcare im schulischen Alltag (33-47) und: Ressourcen bei Lehrer/Innen fördern (49-68)). Auf die Breema-Technik bezieht sich auch ein Forschungsprojekt, das in einem der Texte (verfasst von den Herausgeberinnen und Martina Tscherny: Wege in die Zufriedenheit im Lehrerberuf – Ergebnisse einer empirischen Begleitfoschung, 69-74) beschrieben wird: „Wir berichten über eine aktuelle Forschungsarbeit und unsere Frage ist: Wieso ist überall soviel Stress und wie lässt sich dieses Phänomen in den Griff bekommen?“ (69) Es gehe um eine empirische Begleitstudie, die die Effekte eines Breema-Training mit einer Gruppe von LehrerInnen ausgehend von folgenden Hypothesen untersucht habe: „Hypothese 1: Breema®-Training unterstützt den Stressabbau bei Lehrer/innen. Hypothese 2: Die Anwendung von Lern- und Forschungstagebüchern erhöht die Selbstreflexionskompetenz.“ (80)

Nach einer inhaltanalytischen Auswertung der Lerntagebücher kommen die Autorinnen zu dem Schluss: „Aufgrund der Daten konnte festgestellt werden, dass die universellen Prinzipien (der Breema-Technik, J.S.) generell angewendet werden können. Sie wirken sowohl im privaten Leben wie auch im Umgang in der Schule stressreduzierend und lebensqualitätssteigernd.“ (81) Es überrascht wenig, dass die empirische Studie zu diesem Ergebnis kommt, allerdings kann man bezweifeln, dass hier sorgfältig und wissenschaftlich seriös gearbeitet wurde.

So bleibt nach der Lektüre dieses Buchs der Eindruck, es handele sich um den Versuch, mit Hilfe eines ideologischen, nur scheinbar wissenschaftlich-theoretischen Überbaus (Integralpädagogik und Paradigmenspirale) eine mehr oder weniger gut funktionierende Technik der Körperarbeit als Heilmittel gegen Stress und Frustration von Lehrerinnen und Lehrern zu verkaufen und das heißt: damit Geld zu verdienen.

Fazit

Das Buch beschäftigt sich mit einer sehr speziellen, im Bereich der Esoterik zu verortenden Theorie, der Integralpädagogik und mit einer ebenfalls sehr speziellen Technik der Körperarbeit. Diese werden aber mit einem sehr weit verallgemeinerten Anspruch dargestellt und vertreten. Wer sich für die Rhetorik und Metaphorik dieser sehr speziellen esoterischen Richtung interessiert, für den kann das Buch eine interessante Lektüre sein. Kritische Leserinnen und Leser werden sich wohl vor allem darüber ärgern, zumal der Titel anderes erwarten lässt.

Rezension von
Prof. Dr. Jochen Schmerfeld
Professor für Pädagogik an der Katholischen Hochschule Freiburg

Es gibt 21 Rezensionen von Jochen Schmerfeld.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245