Joachim Merchel: Evaluation in der Sozialen Arbeit
Rezensiert von Dipl.-Soz. Willy Klawe, 05.05.2011
Joachim Merchel: Evaluation in der Sozialen Arbeit.
UTB
(Stuttgart) 2010.
200 Seiten.
ISBN 978-3-8252-3395-2.
D: 24,90 EUR,
A: 25,60 EUR.
Reihe: UTB M (Medium-Format).
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-8252-4472-9 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Evaluation wird immer mehr zu einem selbstverständlichen Bestandteil sozialpädagogischer Praxis, wenn es darum geht, die Sinnhaftigkeit und den Erfolg eigener Aktivitäten systematisch zu überprüfen, Anhaltspunkte für ihre Weiterentwicklung zu erhalten oder die eigene Arbeit fundiert zu legitimieren. „Evaluation ist nicht mehr auf „Evaluationsforschung“ begrenzt, sondern sie hat sich auf Formen der systematischen Überprüfung und Bewertung von alltagsbezogenen Handlungsweisen ausgeweitet.“ (9)
So ist Evaluation inzwischen zu einem unverzichtbaren Element des Qualitätsmanagements Sozialer Arbeit geworden. Mehr noch: Evaluation findet nicht mehr ausschließlich durch wissenschaftliche ExpertInnen statt, sondern wird zum Alltagsgeschäft sozialpädagogischer Fachkräfte. Dazu sind Kenntnisse erforderlich: „ein Wissen zu Verfahren, Nutzen und Risiken bei Evaluationen, die Fähigkeit, das Verhältnis von Aufwand und Nutzen einschätzen und Erwartungen gegenüber Evaluation realistisch ausrichten zu können, die Kompetenz, kleinere Evaluationen selbst durchführen zu können, Evaluationsberatung gezielt nutzen und Evaluationsaufträge nach außen gezielt formulieren zu können.“ (11) Die vorliegende Einführung will diese Kenntnisse verständlich und praxisnah vermitteln.
Aufbau und Inhalt
Der Verfasser setzt dieses Anliegen in 7 Kapiteln anschaulich und verständlich um und schließt jedes Kapitel mit einer knappen pointierten Zusammenfassung ab. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie ein Sachregister im Anhang erleichtern die Orientierung und Vertiefung.
Im ersten Kapitel „Evaluation – was ist das?“ umreißt der Autor – ausgehend von der Beobachtung, dass der Evaluationsbegriff in der sozialpädagogischen Praxis durch seinen inflationären Gebrauch konturlos zu werden droht – die zentralen Definitionselemente von „Evaluation“. Er grenzt Evaluation als Bestandteil beruflichen Handelns ab von Evaluationsforschung und entwickelt systematisch die relevanten Aspekte von Evaluation als Alltagshandeln. Evaluation ist für ihn „ein – in der Regel organisational verankertes – systematisiertes und transparentes Vorgehen der Datensammlung zu einem bestimmten Gegenstandsbereich/Sachverhalt mittels intersubjektiver und gültiger Erhebungsverfahren, das auf der Basis vorher formulierter Kriterien eine genauere Bewertung des Gegenstandes/Sachverhaltes ermöglichen und in der Praxis verwertbare Diskussions- und Entscheidungshilfen zur Verbesserung bzw. Weiterentwicklung des untersuchten Gegenstandes/Sachverhalts liefern soll.“ (19)
Im zweiten Kapitel „Warum benötigt man in der Sozialen Arbeit Evaluationen?“ geht der Verfasser den Anlässen und Funktionen von Evaluationsvorhaben in der Praxis der Sozialen Arbeit nach. Er macht deutlich, dass Ressourcenknappheit und Rationalisierungserwartungen sowie ein erhöhter Legitimationsdruck auf die Profession unterschiedliche Funktionszuschreibungen und Erwartungen an Evaluation auslösen. „Bei der Konzipierung einer Evaluation sollten daher die Erwartungen, Interessen und Wertbezüge der mittelbar und unmittelbar Beteiligten transparent gemacht werden. Das Bemühen um eine diesbezügliche Transparenz erleichtert Erörterungen und Entscheidungen für ein realistisches, die Risiken und Chancen abwägendes Evaluationskonzept.“ (38) Zur Klärung entwickelt er dafür hilfreiche Leitfragen.
Das dritte Kapitel ist „Formen
und inhaltlichen Schwerpunkten in der Evaluation“ gewidmet.
Dabei geht der Autor zunächst von der üblichen
Unterscheidung zwischen summativer und formativer Evaluation aus und
erläutert deren jeweils typische Charakteristik, um sich dann
unterschiedlichen Evaluations-Arrangements zuzuwenden. Prägnant
charakterisiert er Spielformen der Evaluation zwischen externer
Fremdevaluation und interner Selbstevaluation, erörtert deren
jeweilige Vor- und Nachteile und liefert auf diese Weise wertvolle
Entscheidungshilfen.
Bezogen auf eine Unterscheidung nach
jeweiligem Evaluationsfokus orientiert er sich an der im
Qualitätsmanagement gängigen Klassifizierung nach Konzept-,
Struktur-, Prozess- und Ergebnisevaluation und skizziert knapp die je
nach Gegenstand erforderlichen Überlegungen. Abschließend
verweist er darauf, dass eine transparente gemeinsame Entscheidung
aller beteiligten Akteure über Arrangement und Fokus der
geplanten Evaluation eine unabdingbare Voraussetzung für deren
erfolgreiche Umsetzung und Praxisrelevanz ist.
Sehr praktisch und umsetzungsorientiert beschreibt der Autor im darauf folgenden vierten Kapitel „Verfahrensschritte und Methoden…“ einer Evaluation. Übersichtlich skizziert er die für eine Durchführung bedeutsamen Entscheidungs- und Verfahrensschritte und erläutert die in den jeweiligen Phasen zu klärenden Fragen und zu bewältigenden Aufgaben. Nachdrücklich weist er auf die Notwendigkeit hin, Praxisziele konkret und differenziert zu formulieren, um aus ihnen Indikatoren und Erhebungsfragen ableiten zu können. Plausibel entwickelt er Überlegungen zur Methodenwahl und stellt die zur Auswahl stehenden Methoden prägnant mit Beispielen vor. Zu jeder Methode formuliert der Verfasser „Prüffragen“, die dem Leser/der Leserin helfen, die Funktionalität einer Methode für das eigene Evaluationsvorhaben systematisch zu überprüfen.
Der Wirkungsevaluation als derzeit populärer Forderung und Evaluationsform widmet der Autor ein eigenes Kapitel. Er kommentiert zunächst die aktuelle Relevanz des fachpolitischen Diskurses zur Wirkungsforschung und stellt dann mögliche Forschungsdesigns zu deren Umsetzung vor. Kritisch diskutiert er die Aussagekraft von Wirkungsevaluationen in der Sozialen Arbeit: „Bei der Sozialen Arbeit handelt es sich um ein Handlungsfeld, das im Grundsatz „nicht technologisierbar“ ist und durch Unsicherheit hinsichtlich der genauen Problemkonturen und hinsichtlich der Wirkungsoptionen einzelner Interventionen geprägt ist und das aus diesem Grund einem engen und traditionellen Verständnis von „Evidenz“ nicht zugänglich gemacht werden kann.“ (135) Er warnt aber, die „angesprochenen Schwierigkeiten, Wirkungen zu definieren, zu messen und sie bestimmten Handlungen genauer zuzuordnen, sollten allerdings nicht als Begründung dafür genommen werden, sich in der Sozialen Arbeit auf Konzept-, Struktur- und Prozessevaluation zu beschränken.“ (ebd.)
Anders als herkömmliche Einführungen in Evaluation(-sforschung) geht Merchel in den Ausführungen des sechsten Kapitels „Organisationale Rahmenbedingungen für Evaluation“ ausführlich auf die Rahmung von Evaluationsprozessen und deren institutionelle Verankerung ein. Er weist überzeugend nach, dass Evaluationen immer auch Arena von unterschiedlichen Interessen und Strategien in einer Organisation sind, die es aufzudecken und transparent zu machen gilt. Erfolg und Gelingen sowohl interner als auch besonders externer Evaluationen hängen davon ab, wie gut es gelingt, die jeweiligen Interessengegensätze offen zu benennen und konstruktiv auszutragen. Soll Evaluation nicht nur einmalig stattfinden, sondern als Element regelhaften Organisationshandelns einer lernenden Organisation etabliert werden, „…bedarf es zum einen individueller Haltungen auf Seiten der Organisationsakteure und zum anderen einer lernförderlichen „Kultur authentischer Evaluation“ innerhalb einer Organisation (…), bei der Evaluation nicht als Fassade oder legitimes Ritual praktiziert wird, sondern als Ausdruck des Bemühens, etwas über die eigene Arbeit zu erfahren und daraus Schluss zu ziehen.“ (147) Abschließend gibt der Autor praktikable Hinweise zur „Gestaltung eines evaluationsfördernden Organisationsrahmens.“ (152)
Die abschließende Zusammenfassung in Qualitätskriterien: Was ist eine „gute Evaluation“? (Kapitel 7) referiert in Kurzform die 2002 von der „Deutschen Gesellschaft für Evaluation“ verabschiedeten Standards für Evaluation und weist auf kritisch-differenzierende Positionen zu diesem Qualitätskatalog hin. Zu Recht betont Merchel die Grenzen einer qualitativen Standardisierung: „Gerade weil Evaluation als sozialer und dialogischer Prozess konzipiert werden muss und weil eine Evaluation im Hinblick auf die jeweilige Organisation und auf die spezifische Situation und ihre Anforderungen immer „maßgeschneidert“ sein muss, verbieten sich genaue Festlegungen, wie denn eine Evaluation konkret auszusehen habe…“ (163).
Fazit
Joachim Merchel hat mit dem vorliegenden Buch in gewohnter Weise eine gleichermaßen kompetente, differenzierte und dennoch verständliche und praxisnahe Einführung in die komplexe Thematik verfasst. Durch seine klare, gut strukturierte Systematik und die konsequent aus der Perspektive der Praxis gewählten Zugänge und Umsetzungsbeispiele bietet sie einen niedrigschwelligen Einstieg in die Thematik und stellt den Akteuren der Praxis (fest) alle Informationen zur Verfügung, um sich evaluatorisch „auf den Weg“ zu machen.
Rezension von
Dipl.-Soz. Willy Klawe
war bis März 2015 Hochschullehrer an der Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie Hamburg. Jetzt Wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Instituts für Interkulturelle Pädagogik (HIIP, www.hiip-hamburg.de)
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Zitiervorschlag
Willy Klawe. Rezension vom 05.05.2011 zu:
Joachim Merchel: Evaluation in der Sozialen Arbeit. UTB
(Stuttgart) 2010.
ISBN 978-3-8252-3395-2.
Reihe: UTB M (Medium-Format).
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9749.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.
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