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Peter Mörtenböck, Helge Mooshammer: Netzwerk Kultur

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 13.08.2010

Cover Peter Mörtenböck, Helge Mooshammer: Netzwerk Kultur ISBN 978-3-8376-1356-8

Peter Mörtenböck, Helge Mooshammer: Netzwerk Kultur. Die Kunst der Verbindung in einer globalisierten Welt. transcript (Bielefeld) 2010. 174 Seiten. ISBN 978-3-8376-1356-8. 22,80 EUR. CH: 41,00 sFr.
Reihe: Kultur- und Medientheorie.

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Selbstautorisierte Strukturen als Bollwerk gegen lokale und globale ego- und ethnozentrierte Diskontinuitäten

Die Aufforderungen und Herausforderungen, die eine sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnde Welt an das alltägliche und politische Handeln stellt und neue Haltungen und Interaktionen erfordern, lesen sich als dramatische Appelle, wie etwa der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ (1995): „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“. Und die sich an die Zivilgesellschaft(en) richtenden Handlungsempfehlungen der UNESCO zur Umsetzung des globalen Übereinkommens zur Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (2005, vgl. dazu das Weißbuch der Deutschen UNESCO-Kommission vom Dezember 2009) machen deutlich, dass „internationale Kooperationen… Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kultur- und Kreativwirtschaft“ sind.

Entstehungshintergrund und Autoren

Die konflikthafte Entwicklung in der globalisierten Welt, in der die Verteilung der Wohlstände auf dramatische Weise ungerecht(er) verläuft und die gesellschaftlichen und politischen Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Individuen sich lokal und global verringern, rufen nach neuen Formen von Kommunikation und Regelwerken, mit dem Ziel, „kollektives Produzieren, prozessgeleitetes Arbeiten und ein Agieren in transversalen Projektplattformen“ zu ermöglichen. Die beiden Wissenschaftler von der Technischen Universität Wien, Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer, setzen sich seit mehreren Jahren damit auseinander, wie „das Verhältnis von Kunst und geokulturellen Prozessen, Praktiken relationaler Architektur und Transformation urbaner Systeme“ auf Raum- und politisches Planungshandeln analysiert und gestaltet werden kann. Ihre Theorie „Netzwerk Kultur“ basiert dabei auf der Annahme, dass „eine Sphäre der Verbundenheit unterschiedlicher Praxen, die sich nicht über zentral autorisierte Kategorien – Disziplinen, Institutionen, geteilte Geschichte oder Geographie – aufeinander beziehen, sondern durch ihre gemeinsame Arbeit an aktuell dringlichen Fragen und ein Schaffen von Plattformen der Beteiligung im Bereich von Kultur“ künstlerisches, architektonisches und kulturelles Engagement im Sinne von Solidarität und (inter-)kulturellem Zusammenhalt schaffen. An Beispielen, die sich auf mehrjährige Forschungs- und Projektarbeiten zum „Networked Cultures“ (www.networkedcultures.org) stützen, werden Möglichkeiten von Netzwerkaktivitäten und –kreativitäten dargestellt und eine „Politik der Verbundenheit“ aufgezeigt, um auf den globalen sozialen Wandel reagieren zu können.

Aufbau und Inhalt

Die Autoren gliedern ihre Analyse in die Bereiche „Netzwerkkreativität“, in dem sie die Diskussions-, Konflikt-, Planungs- und Entscheidungsprozesse des internationalen Forschungsprojektes „Lost Highway Expedition“ darstellen. Die Neubelebung und –strukturierung der „Straße der Brüderlichkeit“ im ehemaligen Jugoslawien und im heutigen Westbalkan durch zahlreiche internationale und interdisziplinäre Arbeits- und Aktionsgruppen kann als Beispiel für gelingende Handlungsansätze zur Netzwerkbildung in künstlerischen, architektonischen und raumöffentlichen Bereichen dienen. Zum Zweiten, indem sie ausgewählte „umstrittene Räume“ diskutieren und damit die zahlreichen Konfliktpotentiale und –spuren im Verhältnis von Kultur – Politik – Raum aufzeigen. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung hat im Jahr 2008 weltweit 345 politische Konfliktfälle registriert. Die notwendigen Analysen darüber, dass „Konflikt ( ) nicht außerhalb unserer Existenz (residiert), sondern ( ) von uns gelebt und verräumlicht (wird)“, müssen sich sowohl auf offizielle und institutionalisierte Strategien stützen können, als auch auf Netzwerkstrukturen. Im dritten Teil wird eine „Architektur des Handelns“ vorgestellt und damit bereits die theoretischen Netzwerkkreativitäten mit vorfindbaren, informellen Aktivitäten verbunden; z. B. der „Arizona-Markt“ als tätiges Feld einer interethnischen Zusammenarbeit zwischen serbischen, kroatischen und bosnisch-muslimischen Bevölkerungsgruppen im Brčko-Distrikt; der informelle Straßenmarkt entlang der byzantischen Stradtmauer in Istanbul-Topkapi; der Moskauer Cherkizovsky-Markt; der Vier-Tiger-Markt in Budapest. Diese nützlichen und existenzermöglichenden institutionellen und nicht-institutionellen Ökonomien provozieren Widersprüche und ökonomische, ethnische und rassistische Konflikte, die nicht per ordre mufti gelöst werden können, sondern eine Netzwerkpolitik benötigen. Es sind zum Vierten die sich gewollt oder unbeabsichtigt entwickelnden „Parallelwelten“, die zu Irritationen, Konflikten, identitätsbildenden und –zerstörenden Situationen führen; wie etwa der Abriss des traditionsreichen Highbury Stadions des FC Arsenal in London und das mit internationalem Kapital errichtete, topmoderne Emirates Stadion, gewissermaßen der Wechsel von einer „Kathedrale des Fußballs“ zur „Kathedrale des Konsums“. Die sich dabei entwickelnden Formen von Anonymisierung wachsen sich, wie die Arsenal-Konflikte zeigen, allzu leicht und unkontrolliert zu Krawallen, Zerstörungswut und Aggressionen aus. Vernetzte Aktivitäten bieten hier die Chance „für das Entstehen dialogischer Formen von Koexistenz“.

Fazit

„Friedensproben“ (vgl. dazu Martin Kaiser, Friedensproben. Interkulturelle Begegnung und interreligiöser Dialog in der politischen Bildung. Praxisberichte aus Projekten der Internationalen Arbeit, Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts, 2006), „Friedenskommunikation“ (siehe: Hannah Neumann, Friedenskommunikation. Möglichkeiten und Grenzen von Kommunikation in der Konflikttransformation, Lit-Verlag, Münster 2009, vgl. die Rezension) und „Friedensforschung“ (vgl.: Mathias Lutz-Bachmann / Andreas Niederberger, Hrsg., Krieg und Frieden im Prozess der Globalisierung, Verlag Velbrück-Wissenschaft, Weilerswist 2009, Rezension sind Formen, um Friedenspraxis herzustellen. Die Teilnehmer/innen des Kongresses „Peace in the Minds of Men“, der von der UNESCO 1989 durchgeführt wurde, haben in der „Deklaration von Yamoussoukro“ Frieden in einer umfassenden Weise definiert: Frieden heißt Ehrfurcht vor dem Leben. Frieden ist das kostbarste Gut der Menschheit. Frieden ist mehr als das Ende bewaffneter Auseinandersetzung. Frieden ist eine ganz menschliche Verhaltensweise. Frieden verkörpert eine tiefverwurzelte Bindung an die Prinzipien der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität zwischen allen Menschen. Frieden bedeutet auch eine harmonische Partnerschaft von Mensch und Umwelt. Das Projekt „Netzwerk Kultur“ baut auf diesen ganzheitlichen Charakter von Friedensgestaltung auf. Die theoretische und praktische Fokussierung auf „Netzwerkkreativität“ lenkt den Blick auf ein Feld, das im Friedens-(forschungs)diskurs bisher eher am Rande behandelt wird.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1689 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245