Anne Broden, Paul Mecheril (Hrsg.): Rassismus bildet
Rezensiert von Prof. Dr. Gazi Caglar, 24.09.2010

Anne Broden, Paul Mecheril (Hrsg.): Rassismus bildet. Bildungswissenschaftliche Beiträge zu Normalisierung und Subjektivierung in der Migrationsgesellschaft.
transcript
(Bielefeld) 2010.
290 Seiten.
ISBN 978-3-8376-1456-5.
28,80 EUR.
CH: 49,90 sFr.
Reihe: Kultur und soziale Praxis.
Thema
Das im Auftrag des Informations- und Dokumentationszentrums für Anti-Rassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen (IDA-NRW) von Anne Broden und Paul Mecheril herausgegebene Sammelwerk widmet sich der Untersuchung von Rassismus, Normalität, Unterscheidungspraxen, Subjektivierungen und Bildungsarbeit. Schon der Titel „Rassismus bildet“ weist daraufhin, „dass Rassismus mittels Wissen und Erfahrung auf Prozesse der Konstitution und Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen positiv und negativ Einfluss nimmt“ (S. 7). Das Sammelwerk ist eine gelungene Zusammenstellung von Untersuchungen und Reflexionen zum Einfluss des Rassismus, auch in Bildungsprozessen, die sich selbst für interkulturell ausgeben.
Aufbau und Inhalte
Das Sammelbuch ist in zwei Teile gegliedert:
- Rassismus, Normalität, Unterscheidungspraxen
- Rassismus, Subjektivierungen, Bildungsarbeit
Margarete Jäger zeichnet im ersten Teil aus diskursanalytischer Perspektive die Paradoxie der Normalität des Rassismus in der bundesdeutschen Gesellschaft nach, die sich in ihrem offiziellen Selbstverständnis im Einklang mit universalistischen Werten konstituiert. Astrid Messerschmidt skizziert historische Umgangsweisen der bundesrepublikanischen Gesellschaft mit dem Rassismus, die in Skandalisierung, Verlagerung in den Rechtsextremismus, Kulturalisierung und Verschiebung in die nationalsozialistische Vergangenheit bestehen, die alle zugleich auch eine Strategie der Verharmlosung bedeuten. Maureen Maisha Eggers beschäftigt sich mit Diversität als marktförmige Regulierung von Differenzmarkierungen und wie diese Hierarchien produzieren und regulieren. Wiebke Scharathow nimmt die Rassismus- und Migrationsforschung aufs Korn und reflektiert kritisch die Beziehung zwischen forschenden Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft und den „rassisch“ und ethnisch konstruierten Anderen als Objekten der Forschung. Astride Velho thematisiert – die Theorie der Macht mit der Theorie der Psyche zusammendenkend – die Subjektivierungsweisen unter den rassistisch durchsetzten gesellschaftlichen Verhältnissen.
Im zweiten Teil geht Eske Wollrad „weißen Subjektivierungen und antirassistischer Bildungsarbeit“ nach und zieht das Resümee: „Eine rassistische Welt ist für niemanden die beste aller Welten, auch nicht für Weiße“ (S. 160). Claudia Machold untersucht rassistische Differenzpraxen im elementarpädagogischen Kontext. Aus Geschehnissen in einer Kindertagestätte lässt sich eine Unterscheidungspraxis rekonstruieren, „die vollzogen wird, indem die Einhaltung von Regeln eingefordert wird“ (S. 167). Thomas Quehl untersucht die Normalität schulischer Bildungsbenachteiligung: „Wenn das eigene pädagogische Handeln in seinen Unsicherheiten und seiner Begrenztheit erfahrbar wird“, rekurrieren pädagogische Fachkräfte auf eine Interaktion, die Ethnisierungen, Kulturalisierungen und andere Formen rassistischen Wissens als Ressource nutzt, und dies auch in der Schule als Interaktionsraum (S. 186). Mit der „Inszenierung von Migrationsanderen“ in der Schule setzt sich Nadine Rose auseinander. Mit der Kritik und den Stabilisierungsformen des Rassismus in der politischen Bildung zum Nationalsozialismus beschäftigt sich Tobias Linnemann. Andreas Foitzek widmet sich – die eigene Praxis reflektierend – den Spuren des Rassismus in der „Dynamik des interkulturellen Marktes“.
Fazit
Der Sammelband mit der glänzenden Einleitung von Anne Broden und Paul Mecheril ist allen zu empfehlen, die sich für die Funktionsweisen des Rassismus und ihre Folgen für die Subjektbildung „in der Mitte der Gesellschaft“ interessieren. Vor allem pädagogische Fachkräfte brauchen das Buch unbedingt, um eigene Praxen und Verstrickungen reflektierend nachvollziehen zu können – der unerlässliche Schlüssel für nichtrassistische Praxen.
Rezension von
Prof. Dr. Gazi Caglar
Professor an der Fakultät für Soziale Arbeit und Gesundheit der HAWK Hildesheim / Holzminden / Göttingen
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