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Julia Fischer, Anne Ott et al. (Hrsg.): Mehr vom Leben. Frauen und Männer mit Behinderung erzählen

Rezensiert von Kathrin Gattermann, 17.09.2010

Cover Julia Fischer, Anne Ott et al. (Hrsg.): Mehr vom Leben. Frauen und Männer mit Behinderung erzählen ISBN 978-3-86739-056-9

Julia Fischer, Anne Ott, Fabian Schwarz (Hrsg.): Mehr vom Leben. Frauen und Männer mit Behinderung erzählen. Balance Buch + Medien Verlag (Köln) 2010. 192 Seiten. ISBN 978-3-86739-056-9. 14,95 EUR. CH: 26,50 sFr.
Reihe: BALANCE Erfahrungen.

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Thema und Entstehungshintergrund

Männer und Frauen mit Behinderung berichten in diesem Band über ihre Alltagserfahrungen und Träume in verschiedenen Themen- und Lebensbereichen (z.B. Herausforderungen, Liebe, Freizeit, Wohnen, Arbeit usw.). Die Beiträge wurden im Rahmen eines Wettbewerbs des Bundesverbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen und der Aktion Mensch verfasst und von einer Jury ausgewählt. Die Texte wurden von den Autorinnen und Autoren geschrieben bzw. diktiert oder gestützt kommuniziert.

Herausgeberinnen und Herausgeber

Julia Fischer, Anne Ott und Fabian Schwarz sind Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter des Bundesverbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.

Aufbau und Inhalt

Das vorliegende Buch ist in elf thematische Schwerpunkte (und jeweilige Kapitel) unterteilt und mit einem Vorwort der Herausgeberinnen und des Herausgebers bzw. einem Nachwort eines Jury-Mitgliedes versehen. Jedes Kapitel beginnt zudem mit einschlägigen Zitaten, die aus den eingesandten Texten entnommen wurden. Im Folgenden werden beispielhaft Inhalte der Schwerpunkte vorgestellt.

1. Frauenleben, Männerleben. Autorinnen und Autoren berichten über Kindheit und Erwachsenenalter mit Behinderung, über Schwierigkeiten und Herausforderungen in den Bereichen Bildung, Ausbildung, Berufliche Tätigkeit, Leben in Familie und Partnerschaft sowie über Ablösungsprozesse aus dem Elternhaus.

2. Frau sein, Mann sein . In diesem Kapitel reflektieren Männer und Frauen ihre Körperlichkeit als Mann und Frau und wie sie mit den Erwartungen an ihre (geschlechtsspezifischen) Rollen umgehen.

3. Frauenträume, Männerträume. Hier beschreiben die Verfasserinnen und Verfasser ihre Wünsche und Phantasien. Es werden Rollenbilder beschrieben, die gerne ausprobiert und erfüllt werden möchten. Auch Wünsche nach Partnerschaft und Nähe werden beschrieben. In vielen Texten des Kapitels werden das Bedürfnis nach einem höheren Maß an Selbstbestimmung und der Wunsch nach geringererem Bedarf der Unterstützung deutlich.

4. Wohnen und Arbeiten. Die Autorinnen in diesem Kapitel schreiben vom Leben im Heim, vom Wunsch nach selbständigen Wohnformen und von der Herausforderung, das Leben in diesen zu meistern. Sie erzählen von Ablösungsprozessen aus dem Elternhaus, die schwer fallen können. Der Themenbereich Arbeit handelt von der Bedeutung von Arbeit im Leben der Autorinnen, sie beschreiben ihren Alltag in der Werkstatt für behinderte Menschen, aber auch den mühsamen Kampf, die erwünschte Ausbildung oder den bevorzugten Arbeitsplatz zu bekommen.

5. Freizeit und Leidenschaft. Hier erzählen die Verfasserinnen und Verfasser von ihren verschiedenen Lieblingsbeschäftigungen und Aktivitäten im Freizeitbereich.

6. Familienleben. Thematisch handelt dieses Kapitel von der Bedeutung der Familie im Leben der Autorinnen und Autoren. Sie beschreiben positiv in Erinnerung gebliebenen Kindheitserlebnisse, erzählen aber auch über erfüllte und unerfüllte Familienplanung, Ehe und Ehealltag.

7. Liebe und Lust. Der Wunsch der Autorinnen und Autoren nach Liebe, Nähe und Sexualität wird beim Lesen der einzelnen Beiträge deutlich. Sie erzählen von erwünschten und real gewordenen Beziehungen. Sie setzen sich dabei häufig mit den Begriffen der „Norm“ und körperlicher Attraktivität auseinander. Aus den Beiträgen wird deutlich, wie positiv sich eine erfüllte Beziehung auf das Leben und Alltag auswirkt.

8. Verletzungen. Die Verfasserinnen beschreiben negative Erfahrungen, die sie in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter sammeln mussten. Es geht um Ausschluss aus gesellschaftlichen Veranstaltungen (Kommunion), soziale Isolation und Nicht-Beachtung, aber auch um Erfahrungen, von anderen verhöhnt und verspottet zu werden. Viele der Beiträge geben Aufschluss über Gewalterfahrungen innerhalb der Familie, die Auslöser oder Verstärker der Behinderung waren.

9. Plötzlich ist alles anders. In diesem Kapitel berichten Autorinnen und Autoren, wie unvorhergesehene Ereignisse oder Erkrankungen ihrem Leben ungewollt eine Wendung gaben. Betroffene selbst beschreiben, wie sie sich im „neuen“ Leben nach Unfall oder Krankheit orientieren mussten, den Verlust körperlicher oder geistiger Fähigkeiten verkraften, aber auch Lebenspläne verabschieden mussten. Eine Angehörige beschreibt den Alltag mit der Versorgung ihres Sohnes, der nach einem Verkehrsunfall versehrt wieder in das Elternhaus einzog.

10. Behinderung erleben. Die Beiträge in diesem Kapitel erzählen von der Auseinandersetzung mit der eignen Behinderung und von oft unangenehm erlebten Reaktion der Umwelt. Die verminderte „Funktion“ des Körpers zwingt zur Auseinandersetzung mit der eigenen Behinderung. Die Reaktionen der Umwelt auf Menschen mit Behinderung können unter Umständen eine größere Herausforderung für den Alltag sein als die Behinderung selbst.

11. Ich bin ich und ich schaff das! Die Autorinnen und Autoren der Beiträge erzählen, wie sie ihr Leben mit angeborener oder erworbener Behinderung meistern. Sehr beeindruckend beschreiben sie ihre ungeraden Lebenswege, die Bewältigung von Schicksalsschlägen und Herausforderungen im Privaten und Beruflichen. Mit Stolz berichten sie, wie sie es geschafft haben, Widerständen zu trotzen oder das Leben mit Behinderung weitgehend selbstbestimmt zu gestalten.

Diskussion

Das Buch gibt einen sehr guten Einblick in das Leben von Menschen mit Behinderungen. Die selbst verfassten Texte geben die detaillierte Beobachtung und Reflexion der Verfasserinnen und Verfasser von sich selbst und ihrer Umwelt wieder. Der Leser erhält Informationen aus der Gedanken- und Gefühlswelt von Menschen mit Behinderung, die selten in dieser Form veröffentlicht werden. Die Beiträge sprechen für sich selbst: Trotz der Diskussion um Selbstbestimmung, Partizipation, Integration oder Inklusion ist die selbstbestimmte Teilhabe am Leben und in verschiedenen Lebensbereichen nicht selbstverständlich für Menschen mit Behinderung. Auch Reaktionen von Mitmenschen (die die sogenannte „Gesellschaft“ darstellen) gegenüber Menschen mit Behinderung im Alltag zeigen, mit wie viel Unsicherheit und Vorbehalten Nichtbehinderte Menschen mit Behinderung gegenüberstehen.

Fazit

Das Buch ist, vielleicht gerade weil es kein fachwissenschaftliches Buch ist, eine gute Grundlage, Einblicke in die (Gedanken-) Welt von Menschen mit verschiedenen Arten von Behinderung zu bekommen. Die Autorinnen und Autoren liefern in ihren Beiträgen Informationen „aus erster Hand“, ohne dass ein wissenschaftlicher Filter Informationen ergänzt. Das Buch ist allen zu empfehlen , die praktisch oder theoretisch beruflich mit dem Thema Behinderung zu tun haben, aber auch allen, die an Lebensverläufen und -erfahrungen von Menschen mit Behinderung interessiert sind.

Rezension von
Kathrin Gattermann
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Es gibt 4 Rezensionen von Kathrin Gattermann.

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Zitiervorschlag
Kathrin Gattermann. Rezension vom 17.09.2010 zu: Julia Fischer, Anne Ott, Fabian Schwarz (Hrsg.): Mehr vom Leben. Frauen und Männer mit Behinderung erzählen. Balance Buch + Medien Verlag (Köln) 2010. ISBN 978-3-86739-056-9. Reihe: BALANCE Erfahrungen. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9782.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.


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