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Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) (Hrsg.): Unterricht und Förderung von Schülern mit [...] Behinderung

Rezensiert von Tobias Schubert, 22.03.2011

Cover  Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) (Hrsg.): Unterricht und Förderung von Schülern mit [...] Behinderung ISBN 978-3-497-02168-0

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) (Hrsg.): Unterricht und Förderung von Schülern mit schwerer und mehrfacher Behinderung. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2010. 185 Seiten. ISBN 978-3-497-02168-0. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 41,50 sFr.

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Thema

Die Autoren Klaus Gößl und Dr. Jürgen Moosecker legen unter der Herausgeberschaft des renommierten bayerischen Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung mit der vorliegenden, 192 Seiten umfassenden Publikation ein in vielerlei Hinsicht wichtiges Buch vor. Es thematisiert zu Beginn eines ‚Jahrzehnts der Inklusion‘ die schulische Arbeit mit einer Schülerklientel, deren Teilhabe vielfach noch zu wenig mitgedacht und umgesetzt wird: „Eine schulische Realität, die Effektivität, Planbarkeit und messbare Erfolge ins Zentrum stellt, sieht meist nicht Menschen vor, die aktuelle Bedürfnisse unmittelbar ausdrücken und verfolgen, die sich immer wieder pädagogischen Plänen und arrangierbaren Lern- und Leistungserfolgen entziehen“ (Vorwort, S. 8).

Die Autoren formulieren als Intentionen (1) die „Schärfung des Bewusstseins für die Bedürfnisse der Schüler“ sowie (2), „Impulse für die sonderpädagogische Arbeit in der Schule“ (8) zu geben, die hohe Anforderungen an die Beteiligten stellt.

Aufbau und Inhalt

Die Autoren gliedern ihre Handreichung in 6 Kapitel, ergänzt um eine CD-ROM mit 54 Unterrichtseinheiten und Praxisprojekten im pdf-Format.

Das Menschenbild als Fundament sonderpädagogischen Handelns bildet in Kap. 1 den Ausgangspunkt einer überblicksartigen theoretischen Auseinandersetzung mit den Sichtweisen und Intentionen einer Bildung und Erziehung für „Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung“, so der von den Autoren gewählte Begriff für den angesprochenen Personenkreis. Einem Überblick über den Wandel der Sichtweisen folgen Ausführungen zu den drei zentralen Intentionen Selbstbestimmung, Bildung und Partizipation (14 ff.), die in die Benennung von acht grundlegenden pädagogischen Leitsätzen für Bildung und Erziehung von Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen münden (20 f.) und als „Ausgangspunkt für das pädagogische Handeln“ (21) verstanden werden.

Einer notwendigen begrifflichen Bestimmung des Personenkreises widmen sich die Autoren in Kap. 2 Schwere und mehrfache Behinderung. Unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur stellen sie Definitionsansätze für schwere und mehrfache Behinderung zusammen, ohne das damit verbundene Grunddilemma lösen zu können: „Offensichtlich gibt es keine einheitliche Begriffsverwendung und keine sichere Bestimmung der Personengruppe“ (23). Es folgt eine „Beschreibung durch exemplarische Einzelfälle“ (24 ff.), mit deren Hilfe sehr anschaulich eine systematische Darstellung der jeweiligen individuellen Ausgangslage vorgenommen wird, die dann wiederum Gemeinsamkeiten verdeutlicht: Mehrfache Behinderung, hoher Förderbedarf, lebenslange Abhängigkeit und Versorgungsbedarf, Bedarf von Einzelzuwendung und direkter Ansprache, Bedarf von Anpassung der Umgebung, Bedarf an Kommunikationsunterstützung (33). Die Autoren beziehen diese Beschreibung nun auf die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit – ICF“ von 2005, um den gerade auch für diese Personengruppe bedeutsamen Zusammenhang zwischen Individuum und Umweltfaktoren herzustellen (Kap. 2.4). Damit wird für den Leser das Anliegen der Autoren deutlich: „Es ist unverzichtbar, die Umwelt ‚Schule‘ zu betrachten und ihre Bedingungen für die Verwirklichung der individuellen Leistungsfähigkeiten hinsichtlich Aktivität und Teilhabe immer wieder zu überprüfen“ (38).

Das Miteinander der Partnerinnen und Partner im Kontext Schule ist Thema des 3. Kapitels Vernetzte Förderung. Ausgehend von der Perspektive des Schülers (39 f.) thematisieren die Autoren Aspekte und Gelingensfaktoren der interdisziplinären Teamarbeit sowie der Zusammenarbeit mit den Eltern, indem sie diese mit hilfreichen Beispielen und direkt nutzbaren Handreichungen bzw. Dokumentvorlagen auf der CD-ROM illustrieren und verknüpfen.

Mit Schule, Unterricht und Lernen ist das 4. Kapitel überschrieben, in dem die Autoren Leitgedanken zu einem schülerorientierten Unterricht entwickeln, einen Überblick über spezifische Förderkonzepte geben und differenzierte Hinweise zum schulischen Organisationsrahmen im Hinblick auf die Lerngruppengestaltung und Tagesstrukturierung geben, jeweils mit Tabellen und Abbildungen praxisrelevant veranschaulicht. Pflege und Selbstversorgung als Unterrichtsinhalt (Kap. 4.4) und Unterricht in der Berufsschulstufe (Kap. 4.5) werden ebenso differenziert dargestellt.

Auf Unterstützte Kommunikation als noch relativ junges und mittlerweile doch hochgradig ausdifferenziertes Arbeitsgebiet legen die Autoren in Kap. 5 einen Schwerpunkt. Jeweils ergänzt um spezifische Literaturhinweise werden grundlegende Zugangsweisen (Kap. 5.1), die Zusammenarbeit im Team und mit den Eltern (5.2), Möglichkeiten zum Aufbau einer Kommunikationsförderung (5.3) und eine Diagnostik auf entwicklungspsychologischer Grundlage (5.4) dargestellt. Dem schließt sich eine Darstellung der grundlegenden Handlungskonzepte (5.5) an, eine überaus differenzierte und aktuelle Übersicht über wissenschaftlich etablierte und praktisch bewährte Verfahren, deren Vielseitigkeit zur Heterogenität ihrer Zielgruppe in einem engen Wechselverhältnis steht.

„Sonderpädagogische Diagnostik ist eine unverzichtbare Grundlage für individuelle Förderung“ (143). Mit dieser Aussage leiten die Autoren in Kap. 6 Diagnostik ihre Ausführungen zu den grundlegenden Aussagen (Kap. 6.1) und strukturellen und inhaltlichen Elementen (6.2) sonderpädagogischer Diagnostik ein. Wiederum unter Rückbezug auf die Struktur der ICF betonen die Autoren die Bedeutung der Wechselwirkungen zwischen Individuum und Umwelt, bevor sie in Kap. 6.3 die Aufgaben sonderpädagogischer Diagnostik benennen und in Kap. 6.4 die entsprechenden Methoden beschreiben. Auch hier erhält der Leser differenzierte und illustrierte Hinweise auf nutzbare diagnostische Verfahren, ergänzt um eine kommentierte Übersicht über diagnostische Instrumente sowie Literaturhinweise auf der CD-ROM. Ausführungen zur Förderplanung (Kap. 6.5) und zur Vorgehensweise im diagnostischen Prozess (6.6) schließen die Handreichung ohne explizites Schlusswort ab.

Die dem Buch beiliegende CD-ROM enthält insgesamt 54 Unterrichtseinheiten und Praxisprojekte mit mehr oder weniger direktem Bezug zu den Kapiteln des Buches, so z.B. ein Beispiel zur Schulhofgestaltung und Praxisbeispiele zu den Lernbereichen Wahrnehmung und Bewegung, Kommunikation/Deutsch (u.a. mit einem sehr gelungenen Beispiel zur Nutzung von Skype und youtube), Denken und Lernen/Mathematik, Kunst/Musik/Werken/Textiles Gestalten, Sachthemen, Religion und zur Berufsschulstufe.

Diskussion und Fazit

Mit dem Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung als Herausgeber legen Klaus Gößl und Jürgen Moosecker ein wichtiges Buch vor, das seinem Anspruch als Handreichung für Unterricht und Förderung in besonderer Weise gerecht wird. Es gelingt den Autoren, sich der angesprochenen Schülerklientel einfühlsam und zugleich strukturiert und mit wissenschaftlichem Anspruch anzunähern, indem sie die Bedeutung des Menschenbildes als Fundament sonderpädagogischen Handelns herausarbeiten. Darauf aufbauend erhalten die Leserinnen und Leser einen aktuellen Überblick über geeignete Definitionsansätze und nahezu alle relevanten Förderansätze und -methoden, die von den Autoren in den entsprechenden Kontexten der Vernetzung und Teamarbeit, schulischer Organisationsstrukturen und diagnostischer Fragestellungen umfassend dargestellt werden.

Aufbau und Inhalt des Buches sind klar gegliedert und ermöglichen auch einen schnellen Zugriff auf subjektiv relevante Fragestellungen. Die beiliegende CD-ROM bietet eine Fülle an zusätzlichen Materialien, deren Inhalte sich allerdings nicht generell aus den Buchkapiteln erschließen lassen. Hier wären direkte (nummerierte) Hinweise („links“) aus den jeweiligen Texten heraus sowie ein entsprechendes zusätzliches Inhaltsverzeichnis im Buch hilfreich gewesen.

Das Buch wendet sich mit seinem ausgeprägten Praxisbezug und insgesamt sehr gelungenen Anspruch als Handreichung an Förderschul- und Fachlehrkräfte, die mit Schülerinnen und Schülern mit schweren und mehrfachen Behinderungen arbeiten. Darüber hinaus ist es auch als Kompendium zur Aus- und Fortbildung sehr gut geeignet. Es lädt dazu ein, das „Recht auf Teilhabe in allen Lebensbereichen“ (8) immer wieder neu einzufordern und zu verwirklichen – unabhängig von einem Förderort in der allgemeinen oder besonderen Schule.

Rezension von
Tobias Schubert
Hauptamtlicher Studienleiter im Schulartteam Sonderpädagogik am Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH), Systemischer Berater (DGsP), Landesfachrichtungsberater für den Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in Schleswig-Holstein
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Es gibt 8 Rezensionen von Tobias Schubert.

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ISSN 2190-9245