Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (ISS) (Hrsg.): Der Allgemeine Soziale Dienst

Rezensiert von Prof. Dr. rer. hort. habil. Herbert Schubert, 06.08.2010

Cover  Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (ISS)  (Hrsg.): Der Allgemeine Soziale Dienst ISBN 978-3-497-02135-2

Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (ISS) (Hrsg.): Der Allgemeine Soziale Dienst. Aufgaben, Zielgruppen, Standards ; mit 5 Tabellen. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2010. 162 Seiten. ISBN 978-3-497-02135-2. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR, CH: 34,50 sFr.
Reihe: Soziale Arbeit.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-497-02260-1 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Obwohl der Allgemeine Soziale Dienst (Akronym ASD; teilweise auch Kommunaler Sozialdienst oder Bezirkssozialarbeit genannt) den Basisdienst für die soziale Versorgung der Bürgerinnen und Bürger darstellt, führt er im fachwissenschaftlichen Diskurs nur ein Schattendasein. Seit 1990 sind kaum grundlegende Auseinandersetzungen mit der Thematik erschienen. Die Publikation will dieses Defizit beseitigen, indem das Bild eines „modernen ASD“ gezeichnet wird, „wie er in allen Kommunen tätig sein könnte/sollte“ (S. 13f).

Herausgeber und Autoren/innen

Das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (ISS Frankfurt) ist eine Einrichtung, die an der Schnittstelle von Praxis, Politik und Wissenschaft Forschungs- und Beratungsleistungen für Ministerien, Kommunen, Wohlfahrtsverbände und Einrichtungsträger erbringt. Das ISS wurde im Jahr 1974 vom Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt e.V. gegründet und ist seit 1991 als rechtlich selbständiger gemeinnütziger Verein organisiert.
Die Autorinnen und Autoren weisen fachliche Hintergründe der sozialen Arbeit, der (Sozial-) Pädagogik, der Sozialwirtschaft und der Rechtswissenschaft auf. Es handelt sich um Praxisforscher des ISS, freiberufliche Praxisberaterinnen, Leitungskräfte der Kommunalverwaltung und Lehrende von Hochschulen.

Entstehungshintergrund

Nachdem im vergangenen Jahrzehnt vermehrt Fälle der Kindesmisshandlung und Kindesvernachlässigung mit Todesfolge bekannt geworden sind, setzte die Tendenz ein, den ASD stärker in den Fokus der Fachöffentlichkeit zu rücken (vgl. z.B. Gründung der BAG ASD/KSD im Rahmen des ASD-Bundeskongresses 2008). Auch die Einführung des § 8a in das SGB VIII zum Schutz bei Kindeswohlgefährdung hat Fragen aufgeworfen, wie die Aufgaben der ASD-Praxis zu systematisieren und nach welchen fachlichen Standards die Beratungs- und Schutzleistungen des ASD zu gestalten sind.

Aufbau

Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert.

Der ‚rote Faden‘ der Argumentation beginnt mit einer Beschreibung des ASD als Basisdienst zwischen Krisenhilfe und umfassender Beratung. Es folgen Darstellungen der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Anforderungen an eine zeitgemäße Fallbearbeitung. In weiteren Kapiteln werden aktuelle Fragen der Organisationsentwicklung behandelt; erläutert werden Eckpunkte des ASD-Fachkonzepts der Sozialraumorientierung, der interinstitutionellen Kooperation, des Verhältnisses zwischen dem öffentlichen und den freien Trägern und der Organisationsgestaltung des ASD. Darüber hinaus wird in einem Beitrag die Methode einer kollegialen Kurzberatung zur professionellen Risikoeinschätzung nach § 8a SGB VIII vorgestellt.

Inhalt

Wie der ASD „heute“ aufgestellt ist, skizziert Dieter Maly in der Beschreibung des ASD als sozialen Basisdienst zwischen Krisenhilfe und umfassender Beratung. In Folge der kommunalen Selbstverwaltung haben zwar fast jede Stadt und jeder Landkreis einen ASD, aber hinsichtlich der Aufgabenprofile und der Organisation gibt es einen großen Variantenreichtum. Als Kern dieser unübersichtlichen Strukturen werden die Bezirkssozialarbeit als typische Arbeitsorganisation und ihre Ressourcenproblematik herausgestellt. Die Vielfalt der strukturellen Ausprägungen trägt auch zu einer geringen Planungssicherheit des ASD bei, weil bisher kein einheitlicher Personalbemessungsschlüssel für die Bezirkssozialarbeit anerkannt ist. Im Weiteren beschreibt Dieter Maly das Aufgabenprofil des ASD (Beratung in Erziehungs- und Familienfragen; Krisenhilfe und Eingriff bei Kindeswohlgefährdung; Fallverantwortung bei Hilfen zur Erziehung; Jugendgerichtshilfe; Hilfen bei Trennung und Scheidung; Krisendienst für Erwachsene; wirtschaftlichen Beratung, Beratung und Hilfe für ältere Menschen). Dabei wird einerseits das Spannungsverhältnis in der ASD-Organisation zwischen dem Konzept eines breiten, allzuständigen Dienstes und einer zergliedernden Konzipierung von Spezialdiensten verdeutlicht. Andererseits wird die ambivalente Doppelrolle der ASD-Fachkräfte als vertrauensvolle Berater/innen und als hoheitliche Wächter/innen über das Kindeswohl aufgezeigt. Und drittens wird das Ungleichgewicht zwischen der Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und sonstigen Aufgaben für Erwachsene und Senioren thematisiert.
Die wichtigsten Gesetze für die Arbeit des ASD stellt Reinhard J. Wabnitz vor. Der Fokus liegt auf der Darstellung der Leistungen und Aufgaben nach dem SGB VIII; herausgestellt werden dabei die Schwerpunktaufgaben Beratung, ambulante, teil- und vollstationäre Hilfen zur Erziehung sowie Kinderschutz. Besonderes Augenmerk erhält abschließend die Verantwortung und Haftung in der ASD-Arbeit (Sozialdatenschutz, Schweigepflichten und Offenbarungsbefugnisse und die strafrechtliche Garantenstellung).
Die Fallbearbeitung im ASD ist das Thema des Beitrags von Susanne Poller und Hans-Georg Weigel. Die Eingangssituation im ASD hat sowohl für die Klienten als auch für die Fachkräfte Schlüsselcharakter, weil die Weichen für den weiteren Verlauf des ‚Falls‘ gestellt werden. Damit die Fachkräfte in dieser Situation die jeweilige individuelle Problemlage hinreichend verstehen und im Anschluss passende Schritte einleiten können, werden die Instrumente des methodischen Handwerkskoffers einer systemischen Fallbearbeitung vorgestellt: Relativ differenziert werden (a) Routinen der systemischen Gesprächsführung ausgebreitet (systemische Fragen, Leitlinien zur Gesprächsführung unter systemischen Prämissen) und (b) ein Überblick über begleitende Visualisierungstechniken gegeben (Genogramm, Netzwerkkarte, Ressourcenkarte, Zeitstrahl, Reframing). Es folgen (c) eine Beschreibung des Ablaufs reflexiver Schleifen in der Fallbearbeitung durch kollegiale Fallberatung im Team sowie Fallsupervision, (d) die Einordnung der Prozessschritte einer Hilfeplanung und (e) Hinweise, wie die Fallbearbeitung mit nicht motivierten oder unfreiwilligen Klienten gestaltet werden kann. Abschließend werden fachliche Standards für den Hausbesuch durch ASD-Fachkräfte zusammengetragen.
Auf der Grundlage eines Modells der Ressourcenanalyse im sozialen Umfeld von Klienten entwickelt Maria Lüttringhaus die Eckpunkte des ASD-Fachkonzepts der Sozialraumorientierung, das vorrangig subsidiär ist und nachrangig von einem Managementmix aus lebensweltnahen und professionellen Unterstützungsleistungen getragen wird. Näher betrachtet und teilweise an Praxisbeispielen veranschaulicht werden die Umsetzungsebenen (und Instrumente) der fallbezogenen Ressourcenmobilisierung im Sozialraum (Ressourcenkarte), der fallunspezifischen Arbeit (Adressbücher, Wegweiser etc.) und der fallübergreifenden Arbeit (Sozialraumdaten, Bedarfsanalyse, kollegiale Beratung).
Eine große Rolle spielt in der ASD-Praxis auch die interinstitutionelle Kooperation. Wie der Abstimmungsprozess zwischen Beteiligten über institutionelle Grenzen hinweg gestaltet werden kann, um die Handlungsfähigkeit bezüglich gemeinsamer oder sich überschneidender Ziele bei Klienten zu erhöhen, thematisiert Wolfgang Tenhaken. Es wird ein Überblick über die Kooperationsfelder (fallspezifische und fallübergreifende Formen mit Agenturen der Jugendhilfe, Gesundheit, Bildung / Schule, Justiz, sozialen Sicherung, Wohnhilfe, Polizei) und die potenziellen Kooperationspartner des ASD gegeben (intern Verwaltungsakteure, extern verschiedene Professionen). Auch er problematisiert das Vertrauensdilemma des ASD, weil Kooperationspartner den ASD oft als ‚Eingriffsbehörde‘ wahrnehmen und auf Distanz bleiben.
Der Beitrag von Wolfgang Trede knüpft daran an und lenkt den Blick auf die Zusammenarbeit des ASD mit den freien Trägern. Benannt werden die Gelingensfaktoren (gleiche Augenhöhe, wirkliche Beteiligung, Rollenklarheit) und die Interaktionsbedingungen sowohl auf der Interventionsebene des Einzelfalls als auch auf der Ebene fallübergreifenden Kooperation.
Die Autorinnen Maria Lüttringhaus und Angela Streich tragen einen weiteren methodischen Baustein zur Publikation bei. Sie beschreiben die kollegiale Kurzberatung zur Risikoeinschätzung als Methode nach § 8a SGB VIII. Checklisten für den Ablauf und das Frageprogramm werden mit geliefert.
Am Schluss der Veröffentlichung folgt noch ein Überblicksartikel von Benjamin Landes über die Organisation und den Personaleinsatz. Neben empirischen Erkenntnissen, wie verschiedenartig ASD zurzeit organisiert sind, werden grundlegende Hinweise zur Aufbau- und Ablauforganisation gegeben. In einer Synthese wird aus der empirischen Vielfalt ein Muster fachlicher Gestaltungsfaktoren extrahiert (Generalisierung / Spezialisierung, Richtungen der Sozialraumorientierung, Fallbearbeitungstiefe). Ergänzend werden personalwirtschaftliche Aspekte referiert; die neuen Eingruppierungsrichtlinien des nach dem 01.11.2009 in Kraft getretenen Tarifvertrages werden dabei berücksichtigt (und in Entgeltgruppentabellen dokumentiert).

Diskussion

Die Publikation hat einen normativen Charakter: In der Zusammenschau der Beiträge entsteht das idealtypische Profil, wie ein ‚guter‘ ASD angelegt sein sollte. Leider werden dabei zu wenig die Restriktionen aufgezeigt, die bisher verhindert haben, dass sich dieses Profil flächendeckend verbreiten konnte. Und der normative Blick macht auch das Fehlen einer empirischen Basis deutlich: Es fehlt eine tiefenscharfe Übersicht, wie die ASD gegenwärtig beschaffen sind und mit welchen Umsetzungsproblemen sie sich aktuell herumschlagen. Aber das war ja auch nicht das Ziel der Publikation und schmälert nicht ihren Wert. Das Buch stellt ein Kompendium dar, das wie ein ‚bunter Blumenstrauß‘ zusammengestellt wurde: Die heterogenen Beiträge reichen von Überblicksartikeln über Situationsanalysen bis hin zu Checklisten und Tabellen zum Nachschlagen. Diese Anlage ist weniger an theoretischer Tiefe und mehr am praktischen Nutzen ausgerichtet.
Im Problemaufriss wird die aktuelle Situation des ASD gut nachvollziehbar skizziert. Der ASD weist wegen fehlender Rechtsgrundlagen kein einheitliches Aufgabenprofil auf, sondern liefert im Gegensatz dazu ein Bild der Unübersichtlichkeit. Die Publikation bietet einen ‚roten Faden‘ an, um eine Struktur in dieses Bild zu bringen. Der Überblick über die wichtigsten rechtlichen Rahmenbedingungen für die fachliche Arbeit im ASD hat nahezu Handbuchcharakter. Außerdem wird ein differenzierter Einblick in das Instrumentarium der systemischen Fallbearbeitung geboten; an dieser Stelle wird der methodische Handwerkskoffer der ASD-Arbeit weit geöffnet und ein tiefer Blick in systemisch fundierte Handlungsoptionen gewährt. Das Buch stellt Transparenz unter den gängigen ‚Vokabeln‘ der Sozialraumorientierung her und leistet damit einen Beitrag zur Begriffsklärung für die ASD-Arbeit: Die Relation von fallbezogener Ressourcenmobilisierung, fallunspezifischer und fallübergreifender Arbeit im Sozialraum wird schlüssig dargestellt. Die interinstitutionelle Kooperation wird als „zentrale Großbaustelle“ des ASD deutlich. Es wird plausibel gemacht, dass die Zukunftsfähigkeit des ASD vom Gelingen der interpersonalen und interinstitutionellen Zusammenarbeit mit allen im Sozialraum oder am Fall beteiligten Akteuren abhängt. Genau unter die Lupe wird auch das Zusammenspiel des ASD mit den freien Trägern genommen. Die Abhängigkeit des ASD von den Umweltbeziehungen wird dabei offensichtlich, so dass die Forderung nach einer „symmetrischen kooperativen Qualitätsentwicklung“ (S. 112) des ASD in seinem Handlungsnetzwerk nahe liegt.

Fazit

Die Publikation macht deutlich, dass eine Rechtsgrundlage fehlt, die dem ASD ein einheitliches Aufgabenprofil zuweist. Sie ist ein Appell an die Verantwortlichen in Verwaltung und Politik, den Arbeitsauftrag und die Ressourcen des ASD besser abzusichern. Es handelt sich zugleich um ein kompaktes Kompendium für Lernende sowie Lehrende, und es verspricht auch Fachkräften aus der ASD-Praxis einen Erkenntnisgewinn, weil die Komplexität der herrschenden Unübersichtlichkeit reduziert und ein idealtypisches Leitbild für den ASD zur Diskussion gestellt werden. So bleibt zu hoffen, dass in der Fachöffentlichkeit breit diskutiert wird, ob der in den Beiträgen umrissene normative Orientierungsrahmen den ASD zukunftsfähig macht und einen Weg aus der Unübersichtlichkeit aufzeigt.

Rezension von
Prof. Dr. rer. hort. habil. Herbert Schubert
Ehem. Direktor des Instituts für angewandtes Management und Organisation in der Sozialen Arbeit (IMOS) an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Köln
Mailformular

Es gibt 8 Rezensionen von Herbert Schubert.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245