Petra Gromann: Koordinierende Prozessbegleitung in der sozialen Arbeit
Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 14.01.2011
Petra Gromann: Koordinierende Prozessbegleitung in der sozialen Arbeit.
Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2010.
122 Seiten.
ISBN 978-3-497-02126-0.
14,90 EUR.
Reihe: Handlungskompetenzen in der sozialen Arbeit - Band 2.
Thema
Der vorliegende Band „Koordinierende Prozessbegleitung in der Sozialen Arbeit“ ist als Band 2 der neuen Buchreihe „Handlungskompetenzen in der Sozialen Arbeit“ im Reinhardt Verlag München erschienen. Ziel dieser Buchreihe ist die Vermittlung basaler professioneller Handlungsformen und eine praxisnahe Einführung für das gesamte Berufsfeld, wobei besonderer Wert auf eine möglichst anschauliche Vermittlung der Inhalte gelegt wird. Die „Koordinierende Prozessbegleitung“ wird als Handlungstypus anhand allgemeiner kompetenzbezogener Merkmale (Selbstkompetenz, Fallkompetenz, Systemkompetenz) professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit definiert, der in kurz-, mittel- und langfristigen Interventionsformen besondere Planungs- und Analysefähigkeiten, Interaktionskompetenzen und besonderer Reflexionskompetenzen erfordert.
Autorin
Petra Gromann, Diplom-Soziologin lehrt Rehabilitation an der Hochschule Fulda, Fachbereich Sozialwesen. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind neben der Behandlungs- und Rehabilitationsplanung in psychosozialen Arbeitsfeldern die Entwicklung und Leitung von blended-learning Studiengängen der Sozialen Arbeit.
Aufbau und Inhalt
Der Band ist in sechs Kapitel gegliedert. Neben einer theoretischen Einführung (S. 9-21) finden sich zwei Abschnitte mit exemplarischen Fallvignetten und ein zentrales, in drei Kapitel unterteiltes Fallbeispiel, welche als Ausgangsmaterial für die Fallanalyse und -bearbeitung genutzt werden. Abschließend finden sich Angaben mit weiterführender Literatur und Internetressourcen.
Im ersten Kapitel erfolgt eine allgemeine Einführung in das Thema. Der für den vorliegenden Band, aber auch für die gesamte Buchreihe verwendete Kompetenzbegriff professionellen Handelns Sozialer Arbeit wird ausführlich erläutert. Bereichsbezogene Kompetenzfelder (Fall-, System- und Selbstkompetenz), sowie prozessbezogene Kompetenzmuster (Analyse- und Planungskompetenz, Interaktions-, Reflexions- und Evaluationskompetenz) werden dazu als Denkfigur für verschiedene Handlungstypen in der Sozialen Arbeit vorgestellt und ausformuliert. Anhand unterschiedlicher Kontextfaktoren (Umfang des Klientenkontakts, Lebensweltnähe, Formalisierungsgrad der Intervention etc.) werden einige Arbeitsfelder erschlossen und kurz angerissen. Der Handlungstypus „Koordinierende Prozessbegleitung“ wird ausführlich, mit unterschiedlichen Arbeitsfeldern (Sozialpsychiatrischer Dienst, Allgemeiner Sozialdienst) eingeführt. Als spezielle Kennzeichen werden die „große Vielfalt an interdisziplinären und interinstitutionell zu erbringende(n) … Hilfen, die sich auf ein sehr breites Spektrum an Problemen beziehen“ genannt (20). Intensität, Alltagsnähe und Formalisierungsgrad der Interventionen dieses Handlungstypus werden als stark variierend dargestellt. Der Fokus der vorgestellten Handlungsformen bezieht sich sowohl auf Koordinationsleistungen (Casemanagement), als auch auf direkte Interventionen.
Die Fallvignette „Marco: ‚Kind und Mutter – gefährdend verstrickt‘“ führt in einen Fall mit komplexer und teilweise dramatischer Problemlage im Arbeitsfeld des Allgemeinen Sozialdienstes (ASD) ein. Dazu werden die Problemfelder Bildung, (psychische) Gesundheit, Aggression, Bindung, Kindeswohl(gefährdung) und am Rande Suizidalität, Traumatisierung, Abhängigkeitserkrankung am Fall aufgerollt und mit entsprechenden Interventionsformen, die hier durch den ASD erschlossen, vermittelt und koordiniert werden verbunden. Die unterschiedlichen Entscheidungsebenen und –stationen werden in einem Abschnitt „Fallanalyse“ (32) benannt und vermittelt. Zwei (für die gesamte Buchreihe typische) sehr gute „Wissensbausteine“, vermitteln einen Überblick über relevante Fachbegriffe und geben weiterführende Literaturhinweise (Casemanagement und ASD), bzw. verweisen auf entsprechende Bausteine in anderen Bänden der Buchreihe. Zwei Übungsaufgaben ergänzen das Kapitel und geben eine Anregung, den durch die Lektüre erworbenen Wissenszuwachs zu überprüfen, bzw. selbständig weiter zu entwickeln.
Ein ausführliches Fallbeispiel aus dem sozialpsychiatrischen Arbeitsbereich ist zentraler Gegenstand der Kapitel drei, vier und fünf. Ausgehend von der Situation einer poststationären Behandlungssituation werden Arbeitsprinzipien, Haltungen, Methoden und Techniken aus der Perspektive eines Sozialpsychiatrischen Dienstes vorgestellt. Dazu werden die unterschiedlichen, aufeinander aufbauenden, typischen Prozessphasen einer längerfristigen Begleitung aufgefaltet und unter fachlichen Gesichtspunkten analysiert. In der Falldarstellung und der –analyse wird deutlich, dass im hier verwendeten Fall, und das in exemplarischer Art und Weise, eine Entwicklung fachlicher Hilfen, die zunächst von Professionellen für eine Klientin entwickelt werden, hin zu Plan- und Hilfemaßnahmen stattfindet, die von der betroffenen Person selbst aus stärker bestimmt und gesteuert werden. Die drei Kapitel greifen die Betereuungsphasen „Beziehungsaufbau“, „Fallkonferenz“ und „Hilfeplankonferenz“ auf. Neben der Fallschilderung erfolgt in ausführlichen Fallanalysen die Bezugnahme auf die unterschiedlichen Fachkompetenzen (Fall-, System- und Selbstkompetenz). Hier fällt auf, dass neben den fachlich-methodischen Erörterungen viel Raum für die Darstellung wichtiger personaler Kompetenzen der Fachkräfte (Interaktions- und Kommunikationskompetenz, Selbstreflexion etc.) verwendet wird. Die Kapitel werden durch „Wissensbausteine“ zu den Themen Sozialpsychiatrischer Dienst, Datenschutz, Verwaltungsverfahren, Personenzentrierte Hilfen, Internationale Klassifikation von Funktionen (ICF), Dialogische Grundhaltung, Kulturspezifische Krisenintervention und Sozialraumorientierung ergänzt und vertieft.
Eine weitere Fallvignette fokussiert in Kapitel sechs auf die Begleitung eines Klienten im Rahmen des persönlichen Budgets. Die einzelnen Arbeitsschritte, von Beziehungsaufbau, Bedarfserhebung und Budgetplanung hin zur Assistenz im Verfahren und in der Umsetzungsphase des Budgetplans werden ausführlich geschildert und in einem Abschnitt Fallanalyse reflektiert. Die besondere Herausforderung der Leistungsform Persönliches Budget, die Orientierung an der Teilhabe der betroffenen Menschen durch selbst bestimmte und ausgewählte Hilfe- und Unterstützungsleistungen wird ausführlich erörtert. Ein Wissensbaustein zum Persönlichen Budget gibt einen Überblick zur sozialrechtlichen Situation und zur Angebotslandschaft in dieser Hilfeform.
Der Band schließt mit Angaben zu Vertiefungsliteratur, zu Standardwerken und Handbüchern der Sozialen Arbeit und zu Internetressourcen, mit weiterführendem Material.
Zielgruppe
Der Band richtet sich, wie die gesamte Buchreihe an Studierende der Studiengänge Sozialer Arbeit. Neben der Vermittlung fachlicher Inhalte wird dabei großer Wert auf eine anschauliche, praxisbezogene Darstellung, entlang exemplarischer Fallbeispiele gelegt.
Diskussion
Der Band „Koordinierende Prozessbegleitung“ ist übersichtlich strukturiert. Die Einführung in basale Handlungsbereiche und –weisen Sozialer Arbeit erfolgt entlang klug ausgewählter Fallbeispiele. Angenehm fällt auf, dass neben der Vermittlung von Methoden- und Technikaspekten ausführlich auf den Bereich personaler Kompetenzen eingegangen wird und im beruflichen Handeln auftretende Problemfelder nicht verschwiegen werden. Die ausgewählten Praxisbeispiele sind sicher als best-practice-Beispiele zu sehen. Petra Gromann fokussiert jedoch nicht ausschließlich auf gelingende Prozessverläufe, sondern stellt auch widersprüchliche und weniger gelingende Entwicklungen in längerfristigen Begleitprozessen offen dar. Die Darstellungen zur Methodenkompetenz, die zum Teil in den Falldarstellungen selbst, großteils in den jeweils anschließenden Kapiteln zur Fallanalyse erfolgt, sind äußerst verständlich formuliert und bieten eine gründliche Einführung in die Thematik. Ein weiterer Schwerpunkt wird in Bezug auf die Systemkompetenz der Fachkräfte gesetzt. Soziale Arbeit wird in allen Fallbeispielen als professionelles Handeln im Netz, zwischen Erbringung eigener Hilfs- und Unterstützungsleistungen und der Vermittlung zu anderen Leistungsanbietern dargestellt, wodurch der wechselseitige Ablauf von Hilfeleistungsprozessen gut nachvollziehbar wird. Die in den Text eingestreuten Wissensbausteine und Arbeitsaufgaben sind ausreichend genug die auf Fallebene angerissene Thematik zu vertiefen, bzw. zu eigenständigem Weiterarbeiten zu befähigen. Die Darstellungen zur fachlichen Umsetzung sozialer Diagnostik, insbesondere Techniken zur sozialen Netzwerkanalyse und –diagnostik, aber auch Techniken zur Dokumentation geraten mir in dem ansonsten hervorragenden Band deutlich zu kurz, bzw. beziehen sich ausschließlich auf die Internationale Klassifikation von Funktionen (ICF). Zwar tauchen in den Fallbeispielen kurze Hinweise zu Dokumentationsformen auf, diese werden jedoch nicht ausformuliert, auch nicht mit Hinweisen zu weiterführender Literatur vertieft.
Fazit
Ein äußerst gelungener Einführungsband der neben der Darstellung der Koordinierenden Prozessbegleitung auch einen Einblick in verschiedene Arbeitsfelder Sozialer Arbeit gibt. Die Darstellung methodischer, systembezogener und personaler Kompetenzbereiche erfolgt konsequent entlang exemplarischer Fallbeispiele, welche durch didaktisch gut aufbereitete Wissensbausteine und Fallanalysen vertieft werden. Dadurch werden eine überdurchschnittlich gute Lesbarkeit und eine umfassende Vermittlung der wesentlichen Fachaspekte erreicht. Der Band wird seinen Platz als unverzichtbares Lern- und Arbeitsbuch in den Studiengängen Sozialer Arbeit einnehmen.
Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 14.01.2011 zu:
Petra Gromann: Koordinierende Prozessbegleitung in der sozialen Arbeit. Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2010.
ISBN 978-3-497-02126-0.
Reihe: Handlungskompetenzen in der sozialen Arbeit - Band 2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9802.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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