Philip Streit: Jugendkult Gewalt
Rezensiert von Prof. Dr. Matthias Brungs, 15.03.2011

Philip Streit: Jugendkult Gewalt. Was Kinder aggressiv macht. Verlag Carl Ueberreuter (Wien) 2010. 207 Seiten. ISBN 978-3-8000-7451-8. 19,95 EUR. CH: 34,80 sFr.
Thema und Intention
Derzeit ist Jugendgewalt Gegenstand intensiver sozialwissenschaftlicher Forschung, ein von praktisch tätigen Kinder- und Jugendtherapeuten häufig gewähltes Publikations- und schließlich ein in den Medien stark beachtetes Thema. Auslöser hierfür sind dramatische Gewaltexzesse Jugendlicher in Schule und Ausbildung, die sich in jüngster Vergangenheit ereignet haben.
Mit seinem Buch möchte der Autor dazu beitragen, dass Erwachsene den Mut finden, entschieden und verantwortungsbewusst gegenüber jugendlicher Gewalt aufzutreten, und mithilfe seiner Überlegungen soll anstelle des „Wegschauens“ eine verbesserte Handlungsfähigkeit entstehen (vgl. S. 10 ff).
Autor
Der Psychologe und Soziologe Philip Streit ist Vorstand des von ihm gegründeten Instituts Kind, Jugend und Familie in Graz. Dort arbeitet er als Therapeut mit verhaltensauffälligen Kindern, Jugendlichen und ihren Familien.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist insgesamt in fünf Kapitel gegliedert. Im ersten Abschnitt werden einige Fallbeispiele jugendlicher Gewaltszenerien angeführt. Diese werden allerdings nicht kommentiert und für den Leser bleibt daher der Zweck, den der Autor mit diesem plakativen Beginn verfolgt, im Dunkeln. Im Anschluss werden „Aggression“, „Gewalt“ und weitere verwandte Begrifflichkeiten definiert und voneinander terminologisch abgegrenzt. Dieses einführende Kapitel endet mit einer Einteilung von Gewaltursachen aus soziologischer, psychologischer und neurobiologischer Perspektive.
Abschnitt zwei und drei behandeln dann jene Erklärungsansätze, an vielen Stellen etwas langatmig, teilweise oberflächlich, mit einigen Redundanzen, und nur ausnahmsweise sachlich fundiert und in einer angemessenen Struktur systematisiert.
Kapitel vier benennt Faktoren, die im Alltag einer Ausweitung von jugendlicher Gewalt Vorschub leisten und solche, die dies verhindern sollen.
Kapitel fünf ruft schließlich zum Einschreiten gegenüber gewalttätigem Verhalten Jugendlicher auf und endet mit einem Leitfaden zur Zivilcourage, der für dieses komplexe Phänomen einen - etwas unangemessen - manualartigen Charakter aufweist, bisweilen fast rezeptologisch anmutet.
Zielgruppe
In seiner Einführung beklagt der Autor die Expertenlastigkeit des Themas Aggression und Jugendgewalt. In Abgrenzung dazu möchte er mit seinen Überlegungen eine Diskussion und Auseinandersetzung unter Laien hervorrufen. Tatsächlich werden eine fachliche Sprache und eine wissenschaftliche Herangehensweise (z.B. in Form von Quellennachweisen) bewusst vermieden, und stattdessen eine provokante Ausdrucksweise bevorzugt. Dies führt dazu, dass viele seiner Aussagen bei einem thematisch unbedarften Leser den Eindruck von feststehenden Behauptungen erwecken müssen, was von niemandem, - auch nicht dem Autor – gewollt sein kann.
Fazit
Bewusst möchte der Autor mit seinem Buch aufrütteln. Um dies zu erreichen, bedient er sich zum einen einer provozierenden Ausdrucksweise, lässt zum zweiten Beispiele einfließen, die subjektive Betroffenheit beim Leser hervorrufen sollen, und baut schließlich zum dritten an einigen Stellen eine dunkle Drohkulisse über die Zukunft unserer Gesellschaft auf, wenn nicht gegen Jugendgewalt - und zwar in seinem Sinne - eingeschritten wird. Indem er sich diesen (Stil-)Mitteln bedient, bewegt er sich auf einem schmalen Grad zwischen emotionsbetonter Vereinfachung einerseits und sachlicher Auseinandersetzung andererseits. Tatsächlich verdient aber gerade ein so vielschichtiges und stark im Fokus der Gesellschaft stehendes Phänomen ausschließlich eine fachliche, differenzierte und an wissenschaftlichen Befunden orientierte Diskussion.
Rezension von
Prof. Dr. Matthias Brungs
Duale Hochschule Baden-Württemberg
- Villingen-Schwenningen -
Fakultät für Sozialwesen
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