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Gerd Romeike, Horst Imelmann (Hrsg.): Eltern verstehen und stärken

Rezensiert von Prof. Dr. Marius Metzger, 10.01.2011

Cover Gerd  Romeike, Horst Imelmann (Hrsg.): Eltern verstehen und stärken ISBN 978-3-7799-0771-8

Gerd Romeike, Horst Imelmann (Hrsg.): Eltern verstehen und stärken. Analysen und Konzepte der Erziehungsberatung. Juventa Verlag (Weinheim) 2010. 276 Seiten. ISBN 978-3-7799-0771-8. 25,00 EUR.
Reihe: Eine Veröffentlichung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung.

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Thema

Im Buch „Eltern verstehen und stärken. Analysen und Konzepte der Erziehungsberatung“ werden Herausforderungen an eine gelingende Elternschaft analysiert, im Kontext methodischer Konzepte der Elternberatung genauer betrachtet und für die gemeinsamen Bearbeitung im Rahmen der beraterischen Arbeit mit Eltern fruchtbar gemacht. Das Ziel des Buches besteht gemäß der Herausgeber dabei darin, „ […] eine differenzierte Bestandsaufnahme der bestehenden psychischen, sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen von Eltern vorzustellen und daraus Schlussfolgerungen und Anregungen für die Praxis der Elternarbeit und -beratung zu beziehen“ (S. 11).

Herausgeber

Dr. Gerd Romeike ist Diplompsychologe und Psychotherapeut. Er leitet eine bezirkliche Erziehungsberatungsstelle in Hamburg-Nord. Arbeitsschwerpunkte: Arbeit mit hoch strittigen Eltern, Familien mit Migrationshintergrund sowie präventive Elterngruppenarbeit zu Erziehungsfragen.

Horst Imelmann ist Diplompsychologe und Psychotherapeut. Er leitet die Abteilung im Fachamt Jugend- und Familienhilfe Hamburg-Wandsbek, die Erziehungsberatungsstelle Steilshoop sowie die Weiterbildung für Fachkräfte in Verwaltungsangelegenheiten. Arbeitsschwerpunkte: Einzel-, Gruppen- und Familientherapie, Erziehungs-, Trennungs- und Scheidungsberatung, Supervision, Praxisberatung, Projektsteuerung und Gemeinwesenarbeit.

Entstehungshintergrund

Die Grundlage des Buches bilden die Hauptbeiträge der wissenschaftlichen Jahrestagung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e. V. (bke) 2008 zum Thema „Zum Glück Eltern“. Ein solches Tagungsthema hat im Kontext der Erziehungsberatung insofern provokativen Charakter, da mit Urte Finger-Trescher (S. 17ff.) davon ausgegangen werden kann, dass Erziehungsberaterinnen und Erziehungsberater in ihrer professionellen Tätigkeit primär mit unglücklichen Familienkonstellationen konfrontiert sind, in welchen viele Kinder weitgehend glücklos aufwachsen. Dennoch gehen die Autorinnen und Autoren in ihren Beiträgen explizit oder implizit davon aus, dass ein eigenes Kind aufwachsen zu sehen und für es sorgen zu dürfen, für viele Eltern eine besondere Form des persönlichen Glücks ausmachen kann.

Inhalte

Im ersten Teil des Buches versuchen mit Urte Finger-Trescher, Klaus A. Schneewind, Uta Meier-Gräwe, Elfriede Seus Seberich, Bernhard Kalicki, Ursula Mihciyazgan sowie Karl Heinz Brisch verschiedene Autorinnen und Autoren, Elternschaft aus psychologischer und soziologischer Perspektive analytisch zu durchdringen, um darauf aufbauende Überlegungen für die Entwicklung von Unterstützungsmöglichkeiten abzuleiten: Finger-Trescher diskutiert elterliches Glückserleben im Kontext der gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen. Schneewind zeigt Gefährdungspotentiale der Spezies „Familie“ auf, welchen durch zufriedenstellende Paarbeziehungen, die Etablierung von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf begegnet werden kann. Meier-Gräwe legt dar, wie sich die Lebensqualität von Kindern und Eltern quer durch alle Bildungsschichten hindurch mittels Ausbau an familienergänzender Infrastruktur entscheidend verbessern lässt. Seus-Seberich arbeitet Risiko- und Schutzfaktoren von armutsbetroffenen Familien heraus, um anschließend Anforderungen an die Armutskompetenz von Beratungseinrichtungen aufzustellen. Kalicki beleuchtet die Folgen typischer Passungs- und Anpassungsprobleme in der frühen Phase des Familienzyklus, welche die frühe Elternschaft fernab medial vermittelter Idealbilder in einem realistischen Licht erscheinen lässt. Mihciyazgan nimmt Elternschaft im interkulturellen Vergleich in den Blick, was insbesondere auf Familienvorstellungen in Gesellschaften mit kollektivistischer Orientierung eine differenzierte Sicht erlaubt, in denen das Individuum in seiner sozialen Existenz ohne die Familie nicht denkbar ist. Brisch spürt den Bedingungen einer gelingenden Elternschaft durch die Förderung von frühen Eltern-Kind-Bindungen nach, welche sich auch auf die Fremdbetreuung von Säuglingen, Kleinstkinder und Kindergartenkinder übertragen lassen.

Im zweiten Teil des Buches zeigen Andrea Caby und Filip Caby, Barbara Ollefs und Arist von Schlippe, Charlotte Strobl und Ursula Grave-Lävemann sowie Meinrad M. Armbruster Möglichkeiten auf, wie sich Erziehungskompetenzen im Rahmen methodischer Konzepte stärken lassen. Das Schwergewicht liegt hier auf systemisch orientierten Beratungsansätzen: Caby und Caby zeigen anhand praktischer Beispiele auf, wie sich der systemische Ansatz im Rahmen der Erziehungsberatung umsetzen und konsequent auf Lösungen und Ressourcen ausrichten lässt. Ollefs und von Schlippe beschreiben einen Beratungsansatz des israelischen Psychologen Haim Omer, bei welchem Eltern darin angeleitet werden, wie sie auch bei massiven Konflikten mit ihren Kindern über den gelebten, gewaltlosen Widerstand die Erziehungsverantwortung wieder wahrnehmen können. Strobl und Grave-Lävemann skizzieren das systemische Elterncoaching als Türöffner bei familiären Teufelskreisen in neun Schritten. Armbruster skizziert mit der so genannten ELTERN-AG ein Empowerment-Programm für mehr Elternkompetenz in Problemfamilien, welches sich an sozial benachteiligte und bildungsferne Eltern sowie Eltern mit Migrationshintergrund richtet.

Im dritten Teil des Buches stellen Gabriele Engel und Ursula Klotmann, Anne Loschky und Ines Schäferjohann, Klaus Wolf sowie Birgit Leyendecker und Zeynep Hatipoglu Sümer praktische Überlegungen zur Förderung und Beratung von Eltern in herausfordernden Lebenslagen an: Engel und Klotmann bereiten ihr Erfahrungswissen in der Arbeit mit Patchworkfamilien aus, welches sie im so genannten Familienhaus-Modell theoretisch zu fassen versuchen. Loschky und Schäferjohann beschreiben ein neun Module umfassendes Gruppenprogramm für Eltern, welche als Kinder selbst schwierige und traumatische Lebensereignisse zu bewältigen hatten. Wolf zeigt anhand typischer Belastungssituationen von Pflegefamilien Möglichkeit zur Aktivierung familiärer Ressourcen auf, welche es als Belastungs-Ressourcen-Balance in ein Gleichgewicht zu bringen gilt. Leyendecker und Hatipoglu Sümer berichten am Beispiel der Situation türkischstämmiger Familien aus ihren Erfahrungen in der Beratung von zugewanderten Familien, in denen die Notwendigkeit zu einer kultursensitiven Ausrichtung von Erziehungsberatung sichtbar wird.

Diskussion

Das Schwergewicht des Buches liegt mit dem ersten Teil auf der analytischen Durchdringung von Elternschaft im gesellschaftlichen Kontext unter Rückgriff auf psychologische und soziologische Theorie, wobei in den einzelnen Beiträgen in der Regel über die Analyse hinausgehende Überlegungen zu aussichtsreichen Unterstützungsmöglichkeiten angestellt werden. Kritisch ist insbesondere auf die eingangs fehlende, erziehungsberaterische Klammer hinzuweisen, welche die Einzelbeiträge unter dem gemeinsamen Dach der Erziehungsberatung zusammenhält. Diese fehlende Festlegung auf ein gemeinsames Verständnis von Erziehungsberatung äußert sich beispielsweise in der uneindeutigen Trennung zwischen Erziehungsberatung und Elternbildung, welche bei verschiedenen Beiträgen aufscheint.

Im zweiten Teil des Buches werden methodische Konzepte der Erziehungsberatung besprochen, wobei damit vornehmlich systemisch orientierte Beratungsansätze gemeint sind. Diese Fokussierung auf den systemischen Ansatz ist in dieser Ausschließlichkeit insofern kritisch zu bewerten, da dadurch der Pluralität der vorzufindenden, erziehungsberaterischen Ansätze nicht gerecht werden kann und damit der schleichenden Entwicklung einer erziehungsberaterischen Monokultur Vorschub geleistet wird. Es bleibt unverständlich, weswegen insbesondere psychodynamisch- oder verhaltensorientierte Ansätze nicht vertreten sind. Zumal dadurch auch die Anschlussfähigkeit der Erziehungsberatung bei der Zusammenarbeit mit Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, klinischen Psychologinnen und klinischen Psychologen sowie Psychiaterinnen und Psychiater erhöht werden könnte. Damit verfehlt das Buch im zweiten Teil den Anspruch der Herausgeber, die Vielfalt in den erziehungsberaterischen Ansätzen abzubilden: „Insgesamt geben die Beiträge in diesem Buch einen Eindruck von der Vielfältigkeit der Konzepte und Methoden, mit denen Eltern heute unterstützt werden.“ (S. 15).

Im dritten Teil des Buches wird demgegenüber der Anspruch, Vielfalt abbilden zu wollen, besser realisiert, indem hier mit Patchworkfamilien, Kindheitstraumata, Pflegefamilien sowie Migration unterschiedliche Themen der Erziehungsberatung in den Blick genommen werden. Eine solche Themenauswahl kann naturgemäß nicht alle relevanten Themen abdecken, da sich die Erziehungsberatung aufgrund des heterogenen Klientel auch mit unterschiedlichen Themen beschäftigen muss. Die Herausgeber weisen sogar explizit darauf hin, dass diese Zusammenstellung bewusst unvollständig geblieben ist und hier weitere Publikationen folgen sollten: „Natürlich werden mit den Buchbeiträgen nicht alle relevanten Fragestellungen in Bezug auf spezielle Lebenslagen von Eltern und Kindern abgedeckt. So wird hier z. B. das Modell der Patenschaften für Kinder, welches es erlaubt, dass Kinder aus Risikofamilien eine elternergänzende Unterstützung erfahren und welches sich in einigen Großstädten bewährt hat, nicht genannt“ (S. 15).

Fazit

Das Buch gibt einen interessanten Einblick in verschiedene erziehungsberaterische Ansätze und Herangehensweisen. Es teilt dabei allerdings das Schicksal vieler Herausgeberwerke: Es beinhaltet lesenswerte Einzelbeiträge, die einander relativ unzusammenhängend gegenüberstehen und einen roten Faden vermissen lassen. Gleichwohl setzt das Buch ein ermutigendes respektive mutiges Signal, indem Studienergebnisse und Erfahrungsberichte Zeugnis davon ablegen, dass bewährte Möglichkeiten zur Unterstützung von Eltern und deren Erziehungskompetenzen bestehen sofern nur die finanziellen Möglichkeiten für deren Umsetzung bereitgestellt würden. Die Herausgeber bemerken lakonisch: „Angesicht der langjährig zu beobachtenden Zunahme von Erziehungs- und Entwicklungsproblemen in Familien und den bekannten Ergebnissen aus der Bindungs- und Bildungsforschung stellt sich die Frage, ob die Politik überhaupt bereit ist, der zunehmenden sozialen Ungleichheit in Bezug auf die Entwicklungs- und Bildungschancen für Kinder durch passgenaue Hilfeangebote für die verschiedenen Elterngruppen entgegenzuwirken. Die fachlichen Möglichkeiten, mehr Chancengleichheit herzustellen, sind vorhanden, wie auch die Beiträge in diesem Buch zeigen – aber sie kosten Geld“ (S. 11).

Rezension von
Prof. Dr. Marius Metzger
Verantwortlicher Kompetenzzentrum Erziehung, Bildung und Betreuung in Lebensphasen am Institut für Sozialpädagogik und Bildung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
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Es gibt 17 Rezensionen von Marius Metzger.

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ISSN 2190-9245