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Dorett Funcke, Petra Thorn (Hrsg.): Die gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern

Rezensiert von Federico Harden, 20.06.2011

Cover Dorett Funcke, Petra Thorn (Hrsg.): Die gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern ISBN 978-3-8376-1073-4

Dorett Funcke, Petra Thorn (Hrsg.): Die gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern. Interdisziplinäre Beiträge zu einer neuen Lebensform. transcript (Bielefeld) 2009. 494 Seiten. ISBN 978-3-8376-1073-4. 32,80 EUR. CH: 49,90 sFr.
Reihe: Gender Studies.

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Thema

Das traditionelle Familienbild der 60er und 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts wird abgelöst durch neue Kategorien. Vor allem durch Entwicklung medizinischer Technologien werden Konstruktionen von Elternschaft möglich, die in der Vergangenheit faktisch undenkbar waren: Durch biotechnische Verfügbarkeit von natürlichen Vorgängen können traditionelle Familien- und Verwandtschaftsordnungen fundamental verändert werden.

Die Entstehung einer Familie im heutigen Sinne mit Ende des 18. Jahrhunderts, ausgehend von häuslicher, ökonomischer Gemeinschaft, Individualisierung der Partnerwahl, ist durch Erschütterung der bürgerlichen Familie in Richtung neuer Familienformen verändert worden, bis hin zu ganz neuen Formen elterlicher Sozialisation.

Herausgeberinnen, Autorinnen und Autoren

Die Herausgeberin Dorett Funcke ist im wissenschaftlichen Forschungs- und Lehrbereich (Mikrosoziologie und Sozialisationstheorie) tätig, Petra Thorn ist im sozialarbeiterischen und -therapeutischen Feld tätig; beide haben Fachpublikationen veröffentlicht.

Die weiteren AutorInnen sind ebenso ausgewiesene ExpertInnen und international tätig in der Sozialen Arbeit, dem Bürgerlichen Recht, in der Familienforschung, ein Paar- und Psychotherapeut, ein Professor für Lesben-, Schwulen-, Bisexuelle-, Transgender-Psychotherapie und Forschung, (Diplom-)PsychologInnen, Mediziner, ein Film- und Theaterwissenschafter, sowie ein Fachmann der Rechtsgeschichte.

Aufbau

Das Buch ist in 8 Kapiteln mit unterschiedlichsten Schwerpunktsetzungen gegliedert; diese decken praktisch alle denkbaren Lebensbereiche gleichgeschlechtlicher Themenstellungen ab: Von der Demographie über Medizin und Ethik bis hin zu Recht und Kunst. Ein Glossar rundet das aufwendige Werk sinnvoll ab.

Inhalt

Im Vorwort weisen die Herausgeberinnen darauf hin, dass die vorliegende Arbeit nicht widerspruchsfrei zu verstehen sei, da zahlreiche Bereiche nur die vorhandenen Forschungsschwerpunkte darstellen und nicht die „vielfältigen Facetten“ als Sammelband abbilden kann. „Er soll dazu anregen, eine neue Form der familialen Lebensgestaltung noch mehr aus dem Schatten einer am Rande geführten wissenschaftlichen Diskussion zu holen.“

Die folgenden Kapitel sind nach den einzelnen Autorinnen und Autoren themenbezogen gegliedert.

Thema Demographie

Bernd Eggen eröffnet einen demographischen Überblick über die soziale Lage gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit und ohne Kinder in Deutschland; mit den Möglichkeiten des Mikrozensus beschreibt er die Sozialstruktur dieser seltenen Familienform; dabei geht es ihm darum,

das strukturell Spezifische dieser Familie als Unterscheid darzustellen, der ein Unterschied und kein Defizit ist.

Eine weitere zentrale Fragestellung – beschrieben von Martina Rupp und Andrea Dürnberger – ist, wie sich die Ausgestaltung von rechtlichen Rahmenbedingungen der Kinder auswirkt.

Thema Medizin

Im zweiten Kapitel beschreibt Thomas Katzorke medizinisch-technische Möglichkeiten, die es gleichgeschlechtlichen Paaren erlauben, den Kinderwunsch zu erfüllen. Das Spektrum reicht von weniger invasiven Verfahren wie das der Insemination, das Einbringen von Fremdsamen in den weiblichen Genitaltrakt, bis hin zu reproduktionsmedizinischen Behandlungen, die massiv in den menschlichen Körper eingreifen und wie bei anderen chirurgischen Eingriffen auch mit Risiken verbunden sind.

Katzorkes Skizze der reproduktionsmedizinischen Reaktionen wird ergänzt um zwei in Deutschland verbotene Praktiken: Leihmutterschaft und Eizellspende.

Thema Recht

Friederike Wapler untersucht in ihrem Beitrag die Familiengründungsrechte und das bestehende Recht im Rahmen der gleichgeschlechtlichen Familie unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu gestalten.

Zentrale Fragen wie: Vereinbarkeit von assistierter Reproduktion und Adoption mit Kindeswohl, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung, verfassungsrechtlicher Perspektive der Gestaltungsspielräume der Politik und ihrer Grenzen.

Nina Dethloff behandelt die Frage der rechtlichen Absicherung eines lesbischen Paares: Im Zentrum steht das im Jahr 2001 in Kraft getretene Lebenspartnerschaftsgesetz. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick auf Perspektiven für Reformen im deutschen Recht.

Thema Ethik

Eric Blyth hinterfragt die ethischen Entwicklungen der in Großbritannien geführten Debatte über die „Notwendigkeit eines Vaters für das Kind“.

Guido Pennings stellt provokativ homophobe Reaktionen als intuitive und häufig wenig reflektiert Handlungen dar. Er spricht sich darüber hinaus für eine Differenzierung bei der Definition „Kindeswohl“ aus und führt den Begriff „des relativen Wohlergehens“, der dann erreicht ist, wenn es kein hohes Risiko einer ernsthaften Schädigung gibt, bzw. wenn davon ausgegangen werden kann, dass die zur zeugende Person ein menschlich wertvolles Leben verwirklichen kann.

Thema Psychologie

Lisa Herrmann-Green und Monika Herrmann-Green beschreiben Familienbildungsprozesse von lesbischen Paaren, die mit Hilfe eines Samenspenders eine Familie gegründet haben. Im Zentrum stehen Strategien (Arbeitsteilung, Benennungsformen, Aufklärungsstrategien, die Integration von Männern in die Familie), der Herstellung von Elternschaft unter der Bedingung von Gleichgeschlechtlichkeit.

Johanna Scheib und Paul Hastings gehen der Frage nach, in wieweit sich die sexuelle Orientierung der Eltern auf die Kinder auswirkt und sie untersuchen psychische Prozesse, z.B. die Belastung für die Eltern sowie die Qualität von Beziehungen in den Familien.

Die diskutierten Ergebnisse stammen aus Studien, die mit Menschen aus Spendersamen im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter durchgeführt wurden.

Auch wird die Frage gestellt, wie es um die Kinder und späteren Erwachsenen bestellt ist, wenn in der Familie offen über seine Zeugung gesprochen wird bzw. wenn diese ein Tabuthema darstellt.

Thema Soziologie

Gegenstand des Beitrages von Dorett Funcke ist die gleichgeschlechtliche Pflegefamilie. Im Rahmen einer biografisch akzentuierten Forschung wird über den methodischen Zugang der fallrekonstruktiven Familienforschung ein Fallbeispiel analysiert, an dem gezeigt wird, dass die Orientierungsmuster der bürgerlichen „Normalfamilie“ spannende Korrelate verbinden.

Thema Beratung und Therapie

Petra Thorn vertritt die Auffassung, dass in Deutschland lebende lesbische Mütter Pioniere einer neuen Familienform sind, für die kaum Vorbilder oder gesellschaftlich akzeptierte Normen zur Verfügung stehen, die ihnen als Orientierung dienen könnten. Thorn spricht sich für eine Beratung vor der Insemination aus, damit die Paare die Möglichkeit erhalten, auf der Grundlage umfassender Informationen gutbegründet eine Entscheidung zu treffen.

Valory Mitchell und Robert-Jay Green beschreiben aus amerikanischer Sicht die psychologischen sozialen Herausforderungen, denen homosexuelle Paare mit Kinderwunsch sich gegenüber stehen und machen Vorschläge, wie diese bewältigt werden können. Geschildert wird der lange Weg von der ersten Entscheidung bis zur schwulen bzw. lesbischen Elternschaft anhand eines Phasenmodells. Des Weiteren stellen sie eine konditionelle Matrix vor, die Therapeuten helfen kann, die Einbettungsverhältnisse in ihrer Komplexität zu erfassen.

Fiona Tasker und Julia Granville stellen eine therapeutische Intervention zur Erfassung von Familienbeziehungen aus Sicht des Kindes vor; basierend auf der traditionellen Genogrammarbeit haben sie erstmals die Technik der „Apfelbaumfamilien-Übung“ angewandt, die Kindern hilft, ihren Erfahrungen mit dieser unkonventionellen Familienform einen Ausdruck zu geben.

Thema Kunst

Im letzten Kapitel des Buches analysieren Lisa Malich und Christian Pischel die Serie „Neue Familienbilder / New Family Portraits“ von der Dokumentarfotografin Verena Jaekel. Auf den ersten Blick lösen Jaekels Farb(!)Fotografien Spannungen aus, die irritieren; auf den zweiten Blick führen sie zu einer Umdeutung, zur Aufforderung, sich von zugewiesenen und konstruierten sozialen und sexuellen Geschlechterrollen zu emanzipieren.

Die Herausgeberinnen danken an dieser Stelle all jenen Kolleginnen und Kollegen, die an der Fertigstelldung durch Anregung, Kritik, Unterstützung und Hilfe beteiligt waren; ebenso wird den Übersetzerinnen gedankt, die mit großer Sorgfalt und beeindruckender Genauigkeit eine schwierige Aufgabe gemeistert haben.

Zielgruppen

Das vorliegende Werk ist hervorragend geeignet für alle im Sozialbereich interessierten Personenkreise, die den Anspruch wissenschaftlichen Tiefe und ausgesprochener Themen-Diversität als Herausforderung betrachten.

Diskussion

Das Werk stellt auf 494 Seiten einen überraschend ungewohnten Querschnitt an Themen mit internationalen Bezügen vor: Den Leser erwartet hier eine Arbeit mit spezifischen Inhalten, verbunden mit einer Unterschiedlichkeit, die zum Thema „Gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern“ bisher unbekannt war.

Fazit

Diese Arbeit stellt tatsächlich eine Pionierarbeit dar, die aktuelle, interdisziplinäre Forschungsergebnisse gebündelt vorlegt: Von der Breite der Themenvielfalt, der Tiefe der Forschungsergebnisse, über die verantwortungsvolle Beschreibung – in seiner Art ein selten empfehlenswerter „Leckerbissen“ am Buchmarkt!

Rezension von
Federico Harden
Akademisch geprüfter Lehrer für Gesundheitsberufe Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Gesundheits- und Krankenpflege Psychotherapeut (VT) in freier Praxis. Fort- und Weiterbildungen
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Es gibt 5 Rezensionen von Federico Harden.

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Zitiervorschlag
Federico Harden. Rezension vom 20.06.2011 zu: Dorett Funcke, Petra Thorn (Hrsg.): Die gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern. Interdisziplinäre Beiträge zu einer neuen Lebensform. transcript (Bielefeld) 2009. ISBN 978-3-8376-1073-4. Reihe: Gender Studies. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9866.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


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