Michael Klassen: Soziale Problemlösung als Aufgabe der Sozialen Arbeit [...]
Rezensiert von Prof. Dr. Heiko Kleve, 28.07.2010
![Werk bestellen Cover Michael Klassen: Soziale Problemlösung als Aufgabe der Sozialen Arbeit [...] ISBN 978-3-902652-15-7](/images/rezensionen/cover/9896.jpg)
Michael Klassen: Soziale Problemlösung als Aufgabe der Sozialen Arbeit, des Case- und Sozialmanagements. Lehrbuch. Studia Verlag (Innsbruck) 2010. 136 Seiten. ISBN 978-3-902652-15-7.
Thema
Michael Klassen schlägt in seinem einführenden Lehrbuch vor, die Systemtheorie nach Mario Bunge sowie die darauf aufbauenden sozialarbeitswissenschaftlichen Ansätze von Silvia Staub-Bernasconi, Werner Obrecht und Kaspar Geiser für die Ausgestaltung von Case- und Sozialmanagement zu nutzen. Damit fundiert er zwei aktuelle Praxisdiskurse (Case- und Sozialmanagement) mit grundlagen- und sozialarbeitswissenschaftlichen Positionen, die in den letzten dreißig Jahren insbesondere im Kontext der Züricher Hochschule für Soziale Arbeit entwickelt wurden.
Autor
Dr. Michael Klassen, Master of Social Work (USA), ist Professor und Leiter der Studiengänge für Soziale Arbeit an der Hochschule Management Center Innsbruck. Zudem ist er Vice-President of Society for International Cooperation in Social Work und stellvertretender Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Care und Case Management. Er hat einige Fachbücher und zahlreiche Artikel publiziert.
Klassen ist neben Christian Spatscheck und Stefan Borrmann der prominenteste Weiterentwickler der system- und bedürfnistheoretischen Position der Sozialarbeitswissenschaft, wie sie von Staub-Bernasconi, Obrecht und Geiser fundiert wurde. Er hat bei Staub-Bernasconi mit einer Arbeit zum Vergleich der Systemtheorien Niklas Luhmanns und Mario Bunges promoviert.
Aufbau und Inhalt
Das Buch enthält zwar eine umfangreiche Vorstellung des Autors und ein differenziertes Inhaltsverzeichnis. Was aber nicht aufgefunden werden kann, ist ein Impressum, so dass der Rezensent die entsprechenden, oben angegebenen Daten im Internet recherchieren musste.
Die inhaltliche Darstellung ist in drei Teile differenziert:
Nach einer knappen Einleitung (Teil 1) präsentiert Klassen im umfangreichsten Teil des Buches (im Teil 2) die zentralen biographischen Daten der Hauptreferenzfigur, Mario Bunge. Bunge wird zudem in seinem beeindruckenden Schaffen als Philosoph und Naturwissenschaftler vorgestellt. Weiterhin erfolgt eine knappe, aber dennoch sehr nachvollziehbare Darstellung der Grundlagen seines systemtheoretischen Modells; dieses wird zudem teilweise in Abgrenzung zum Ansatz von Niklas Luhmann dargestellt, der in der Sozialen Arbeit – im Gegensatz zu Bunge, der (noch) recht unbekannt ist – sehr intensiv rezipiert wird.
Eine besondere Stärke von Klassens Ausführungen ist der direkte Bezug zur Praxis der Sozialen Arbeit bzw. des Case- und Sozialmanagents, der zumeist unmittelbar nach der theoretischen Erläuterung erfolgt. Dies veranschaulicht die abstrakten systemtheoretischen Theoreme und offenbart ihren praktischen Nutzen. Im Einzelnen werden das allgemeine Wissenschafts- und Theorieverständnis, die Systemdefinitionen und Hauptbegriffe, die Thesen zu Mensch und Gesellschaft, Wertefragen im Lichte des Ansatzes sowie die Soziale Arbeit allgemein und als Handlungswissenschaft sowie als Profession im Kontext dieser Systemtheorie diskutiert.
Im Teil 3 erfolgt schließlich eine Anwendung der theoretischen Grundpositionen auf ein konkretes Feld der Sozialen Arbeit, auf die Arbeit mit Migranten. Dieser Bezug wird jedoch lediglich im Rahmen allgemeiner sozialarbeiterischer Fragestellungen realisiert, eine Konkretisierung auf das Case- und Sozialmanagement unterbleibt.
Diskussion
Michael Klassen verfolgt mit seiner Veröffentlichung das Ziel, das system- und bedürfnistheoretische Konzept in der Fachöffentlichkeit weiter zu verbreiten und anhand konkreter praktischer Fragestellungen zu veranschaulichen. Dies gelingt dem Autor weitgehend. Er zeigt sehr gut die Grundlagen des Bungeschen Ansatzes anhand von Aspekten des Case- und Sozialmanagements sowie bezüglich der Sozialen Arbeit mit Migranten auf. Das zentrale Thema der Sozialen Arbeit, die Thematisierung und Lösung soziale Probleme, steht dabei im Mittelpunkt.
Das Buch ist didaktisch sehr ansprechend aufbereitet. Die Ausführungen gewinnen durch zahlreiche Grafiken und Tabellen an Verständlichkeit. Besonders gelungen erscheinen die vom Autor selbst gefertigten Illustrationen, komikhafte Bilder, die zentrale Thesen seiner Arbeit sehr studentenfreundlich veranschaulichen. Gerade diese didaktisch ausgezeichnete Präsentation des Stoffes macht das Buch zu einem Lehrwerk für Einsteiger in die sozialarbeiterische Systemtheorie nach Mario Bunge.
Dem Buch ist anzumerken, dass der Autor sehr bemüht ist, den in der Sozialen Arbeit weit verbreiteten systemischen Ansatz in der Tradition von Niklas Luhmann das systemische Konzept von Bunge entgegenzustellen. Daher wirkt die Lektüre hin und wieder wie ein etwas verkrampfter Versuch, die Leserinnen und Leser von der Überlegenheit des präferierten Ansatzes zu überzeugen. Konstruktivistisch orientierte Systemtheoretiker/innen bzw. systemisch-konstruktivistisch ausgerichtete Praktiker/innen werden insbesondere das System- und Realitätsverständnis, das Klassen in Anlehnung an Bunge offeriert, als unterkomplex kritisieren. Das präsentierte Systemverständnis ist das klassische Modell von in einander verschachtelten Puppen („Matrjoschka-Modell“), das bei Systemen, die durch zahlreiche Variablen strukturiert und vielfach vernetzt sind, so kaum plausibel zu machen ist.
Wichtig ist jedenfalls – und dies sollten alle beachten, die sich auf wissenschaftliche Theorien einlassen, dass es sich dabei lediglich um Bilder und nicht um die Wirklichkeit an sich handelt, um Speisekarten und nicht um die Speisen selbst, um eine Metapher Paul Watzlawicks zu bemühen. Bestenfalls sind Theorien brauchbare Landkarten, die passende Orientierungen im Gebiet ermöglichen.
Obwohl der Ansatz von Bunge, insbesondere hinsichtlich seiner zentralen Prämissen und wissenschaftstheoretischen Folgerungen, doch sehr verschieden vom systemisch-konstruktivistischen Denkansatz ist, bleibt am Ende doch Folgendes festzuhalten: Auf der Ebene der konkreten methodischen Ausgestaltung der Sozialen Arbeit ähneln sich die unterschiedlichen systemischen und diverse weitere Ansätze letztlich. So laufen doch die meisten Vorschläge für die relevanten sozialarbeiterischen Handlungsschritte auf den klassischen professionellen Dreischritt hinaus: auf die phänomenale, („Was ist los?“), kausale („Warum ist das so?“) und aktionale („Was ist zu tun?“) Fragestellung.
Zielgruppe
Das Buch eignet sich für alle, die einen knappen aber kompetenten Einblick in die sozialarbeiterisch aufbereitete Systemtheorie nach Bunge und im Gefolge davon in die sozialarbeitswissenschaftliche Position von Staub-Bernasconi und ihrer Kollegen Obrecht und Geiser erhalten möchten. Profitieren können von der Lektüre studentische Einsteiger genauso wie erfahrene Praktiker sowie Lehrende der Sozialen Arbeit.
Fazit
Das Buch ist ein engagierter Versuch, die systemtheoretische Position nach Mario Bunge für die Soziale Arbeit, insbesondere für das Case- und Sozialmanagement darzustellen. Dem Autor gelingt in einer didaktisch ansprechenden Form, die Konzepte, die insbesondere Staub-Bernasconi, Obrecht und Geiser in den letzten Jahrzehnten unermüdlich entwickelt haben, sowohl theoretisch als auch praxisbezogen zu präsentieren.
Rezension von
Prof. Dr. Heiko Kleve
Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Wirtschaft und Gesellschaft, Department für Management und Unternehmertum, Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU)
Website
Mailformular
Es gibt 21 Rezensionen von Heiko Kleve.