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Karin Wachter: Angehörigenarbeit [...] in Altenpflegeheimen

Rezensiert von Prof. Dr. Michael Brömse, 17.12.2010

Cover Karin Wachter: Angehörigenarbeit [...] in Altenpflegeheimen ISBN 978-3-86553-354-8

Karin Wachter: Angehörigenarbeit durch SozialarbeiterInnen in Altenpflegeheimen. Luxus oder Notwendigkeit? WiKu-Verlag - Wissenschaftsverlag & Kulturedition (Köln) 2010. 123 Seiten. ISBN 978-3-86553-354-8. 29,35 EUR.
Reihe: Stone’s publishing Cologne.

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Thema

Der Eintritt alter Menschen ins Pflegeheim erfolgt heute bei zunehmend hohem Alter und erheblicher Multimorbidität der Betroffenen, wenn eine Betreuung in der eigenen Wohnung auch bei erhöhtem Aufwand nicht mehr möglich ist. Dies bedeutet eine erhebliche Veränderung der Heimstrukturen, zumal die begrenzte Lebenserwartung der Bewohnerinnen und Bewohner dazu führt, dass Pflegeheime sich bisweilen in die Nähe von Hospizen versetzt sehen.

Angehörige der Betroffenen stehen in dieser Situation oft seelisch, organisatorisch und situativ an der Grenze der Überforderung, zumal ihnen als kontinuierlicher Beziehungsperson beim Wechsel ins Heim eine entscheidende Bedeutung für die Betroffenen zukommt. Dass hier einer qualifizierten und problembezogenen Angehörigenarbeit ein besonderes Gewicht zukommt, liegt auf der Hand. Dieser Problematik wendet sich die Verfasserin vor dem exemplarischen Hintergrund der Verhältnisse in Niederösterreich zu.

Autorin

Karin Wachter, Magistra (FH) für sozialwissenschaftliche Berufe, ist freiberuflich als Dozentin im Gesundheits- und Pflegebereich sowie in der Lebens- und Sozialberatung tätig. Darüber hinaus arbeitet sie als Supervisorin und als Coach. Neben dem Bereich der Angehörigenarbeit ist ein zweiter Forschungsschwerpunkt der Verfasserin die Betriebssozialarbeit.

Aufbau und Inhalt

Nach einigen Präliminarien (Vorwort, Kurzfassung, Abstract, Abkürzungsverzeichnis) wird das Thema in sieben Abschnitten entfaltet und in einer Conclusio (Kap. 8) abgeschlossen. Eine tabellarische Angabe der Diagramme, Grafiken und Tabellen, ein Literaturverzeichnis sowie ein Quellenverzeichnis schließen den Band ab.

Einleitung (Kap. 1, S. 12-19): Die Autorin klärt zunächst zunächst spezifische Gesichtspunkte der Sozialen Arbeit im stationären sowie im ambulanten Bereich der Pflege, geht auf aktuelle Veränderungen im institutionellen Bereich, insbesondere die Auswirkungen der Verlagerung von Spätpflege- und Sterbefällen aus dem häuslichen und klinischen Bereich in die Pflegeheime ein und entwickelt als Ziel der Arbeit, „die Notwendigkeit der Angehörigenarbeit in Pflegeheimen durch SozialarbeiterInnen zu begründen sowie ein Konzept zu erarbeiten, das den institutionellen Anforderungen unter den ökonomischen Aspekten der Effizienz und Effektivität gerecht wird.“

Daten und Informationen aus Niederösterreich (Kap. 2, S. 19-28): Hier geht es um eine Bestandsaufnahme der institutionellen Verhältnisse im genannten Raum. Insbesondere wird hier in den Blick genommen, inwieweit in den spezifischen Bereichen von Heimleitung, SeniorInnenbetreuung und Pflegepersonal auch sozialarbeiterische Aufgaben wahrgenommen werden. Ein Blick auf den institutionellen Strukturwandel zeigt die gravierende Verschiebung des Anteils der Wohnbetten hin zu Betreuungs- und Pflegebetten seit 1992 (53/3/44% in 1992, 2/8/90% in 2011). Ferner werden Familienverhältnisse und Besuchsverhalten der Angehörigen am Beispiel des Pflegeheims Vösendorf beleuchtet.

Die Heimaufnahme (Kap. 3, S. 28-40): Zunächst werden gesellschaftliche und individuelle Hintergründe einer Heimunterbringung untersucht. Bei der Frage, ob die Betroffenen selbst oder ihre Angehörigen die Entscheidung treffen, geht die Autorin auf Entscheidungshintergründe ein und kommt zu dem Ergebnis, dass auch bei einer vordergründig durch die Betroffenen selbst erklärten Entscheidung oft die Angehörigen maßgeblich waren, und dass diese Entscheidung dann von den Betroffenen - kohortenbedingt - meist akzeptiert wird. Als Gründe der Heimunterbringung werden vor allem krisenhafte gesundheitliche Zuspitzungen entweder bei den Betroffenen selbst oder bei ihren Angehörigen genannt. Dem entspricht dann die oft überstürzte Auswahl eines Heims nach den Kriterien „freier Platz”, Nähe zu den Angehörigen, guter Ruf des Hauses, jedoch kaum nach dem Kriterium Pflegeangebot. Auch hier sind die Entscheidungsträger meist die Angehörigen.

Die AkteurInnen in der stationären Altenbetreuung (Kap. 4, S. 41-56): Als zentrale Akteure werden zunächst identifiziert: HeimbewohnerInnen - Angehörige - Pflegepersonal. Sie unterliegen jeweils spezifischen Belastungsmustern. Insofern sind alle drei Gruppen auch als Klientel von Sozialer Arbeit zu verstehen, wenn auch mit unterschiedlichen Voraussetzungen einerseits bei Betroffenen/Angehörigen, andererseits bei Pflegenden. Erhebliche Bedeutung kommt der Frage zu, wer Auftraggeber für sozialarbeiterische Interventionen in Altenpflegeeinrichtungen ist: Dies muss nicht das Heim selbst sein, auch heimfremde Institutionen sind hier denkbar, zumal diese nicht a priori in institutioneninterne Konfliktmuster eingebunden sind.

Das institutionelle Beziehungsdreieck in Altenbetreuungseinrichtungen (Kap. 5, S. 56-83): Es wird hier zunächst das Beziehungsdreieck Kranker/Pflegebedürftiger - Angehöriger - Schwester/Pfleger ausgeleuchtet und dann auf die wesentlich komplexere Dimension des Kooperationssystems von Heimen (alle Beteiligten von Mitbewohnern bis hin zum Koch) ausgeweitet. Dabei werden auch Beziehungsstörungen - etwa zwischen Mitarbeitenden und Angehörigen - sowie Konfliktmuster - etwa in Zuständigkeitsfragen der Heimstruktur - in den Blick genommen und analysiert. Als besonders problematisch für den Untersuchungsraum Niederösterreich erweist sich die Beauftragung des Pflegepersonals mit der Angehörigenarbeit, da ja gerade zwischen diesen beiden Gruppen eine erhöhte Beziehungsproblematik, u.U. auch gegensätzliche Interessenlage besteht.

Das sozialarbeiterische Mandat für Angehörigenarbeit in der stationären Altenbetreuung (Kap. 6, S. 84-99): Eine Legitimation des Mandates ergibt sich zunächst aus den Kompetenzen und Fähigkeiten der SozialarbeiterInnen. Als solche werden beschrieben: Konfliktmanagement in zwischenmenschlichen Beziehungen - Beratung im Bereich sozialrechtlicher Belange - Multiprofessionalität in der Altenbetreuung - Fähigkeit zu multiprofessioneller Teamarbeit. Wichtig ist auch die Beachtung von Grenzen der Sozialen Arbeit in der Angehörigenarbeit. Deren Erkennbarkeit ergibt sich vor allem aus einer gründlichen Klärung der institutionellen Rahmenbedingungen.

Als mögliche kurz- und langfristige Auswirkungen von sozialarbeiterisch qualifizierter Angehörigenarbeit werden dann beschrieben: Remigration von Heimbewohnern nach einer mehr oder weniger langen Aufenthaltsdauer im Heim - Gestiegene MitarbeiterInnenzufriedenheit durch Angehörigenarbeit - Positive Auswirkungen auf den „Ruf des Heimes” als Folge einer Öffentlichkeitswirkung von sozialer Arbeit - Langfristiges Qualitätsmanagement durch Angehörigenarbeit. Nicht zuletzt können sich diese Aspekte auch auf die Lebensperspektiven der Angehörigen selbst als den „Alten von morgen” auswirken.

Merkmale eines Angehörigenkonzeptes (Kap. 7, S. 99-107): Zunächst werden fünf Ziele von Angehörigenarbeit nach Sabine Kühnert (in: A. Niederfranke et al. (Hrsg.), Altern in unserer Zeit, 1992, S. 308ff) vorgestellt: Aufrechterhaltung von Sozialen Kontakten der Heimbewohner - Verbesserung der Zusammenarbeit von Angehörigen und Mitarbeitenden - Integration von Angehörigen in therapeutischen Maßnahmen - Abbau von Vorurteilen und Ängsten Angehöriger - Unterstützung von Angehörigen in situationsbedingten Problemlagen. - Als sozialarbeiterische Methoden werden ausführlich Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit vorgestellt. - Die Qualitätssicherung ist auf die Entwicklung von Standards angewiesen, die allerdings abhängig von der jeweiligen Zielsetzung einer Institution einrichtungsbezogen und individuell festzulegen sind.

Conclusio (Kap. 8, S. 107-112): Hier werden die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel zusammengefasst und in einigen Punkten zugespitzt. So verweist die Autorin auf einige im Vergleich zu Österreich in Deutschland bereits verwirklichte Desiderate, etwa die gesetzlich obligatorische Einrichtung eines Heimbeirates. Besonderes Gewicht legt die Verfasserin auf die nach dem Vorangegangenen sich als notwendig erweisende Orientierung von Heimeinrichtungen am „Wohnmodell” im Gegensatz zum immer noch weit verbreiteten „Krankenhausmodell”.

Zielgruppe

Für Studierende in den Fachgebieten Gerontologie, Sozialwesen/Diakonie aber auch Pflegewissenschaften ist die Arbeit von Karin Wachter ein wertvoller Beitrag zur Verortung sozialarbeiterischen Handelns im System „Heim”. Da Angehörigenarbeit ein genuiner Teil von Systemischer Sozialarbeit ist, stellt das Buch auch einen nützlichen Beitrag zur Arbeit mit Angehörigen von Heimangehörigen überhaupt dar, etwa im Bereich von stationärer Betreuung behinderter Menschen u.ä. - Gleiches gilt für die Fort- und Weiterbildung von im Bereich der Pflege alter Menschen beruflich tätigen Personen. - Auch da, wo pflegende Institutionen selbst in Veränderungsprozesse eintreten (Organisationsberatung, Zukunftswerkstatt o.ä.) kann das Buch eine informative und orientierende Hilfe sein.

Diskussion

Der Reiz der Arbeit von Karin Wachter liegt in seiner komprimierten, exemplarisch auf einen überschaubaren Raum bezogenen Form. Dass dabei mit dem österreichischen Bundesland Niederösterreich eine aus deutscher Sicht relativ entlegene Region den Bezugsraum bildet, fällt kaum ins Gewicht, da sowohl die sozialen als auch die gesetzlichen Verhältnisse in dieser Region mit denen in Deutschland durchaus vergleichbar sind. Positiv hervorzuheben sind in der Arbeit vor allem die präzisen sozialwissenschaftlichen Analysen, insbesondere da, wo die Autorin vordergründig eindeutig erscheinende Befunde auf ihre Hintergründe abklopft und dabei zu sehr validen Ergebnissen kommt (etwa Kap. 3, Entscheidung über den Heimeintritt). Die Diagramme, Grafiken und Tabellen stellen in diesem Zusammenhang eine sehr gute Verständnishilfe dar. Auch die resümierende Forderung nach einer Orientierung von Heimen am „Wohnmodell” (im Gegensatz zum Modell „Klinik”) ist aus dem Vorangegangenen wohlbegründet und in der gegenwärtigen Situation von Pflegeheimen auch in Deutschland hochaktuell. - Etwas blass wirkt im Vergleich zu den vorangegangenen Kapiteln allerdings Kap. 7, Merkmale eines Angehörigenkonzepts. Als Ziele werden die von Sabine Kühnert entwickelten Vorstellungen übernommen, die Methoden beschränken sich auf Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit, und für die zur Qualitätssicherung relevanten Standards gilt individuelle Orientierung an der einzelnen Institution - hier wären präzisere, konkretere und differenziertere Ausführungen wünschenswert. Der Qualität der anderen Kapitel tut dieses Manko allerdings keinen großen Abbruch.

Fazit

Trotz der genannten Einschränkung ist das Buch in jedem Fall für die oben genannten Zielgruppen informativ und lesenswert. Insbesondere für Personen, die in der Angehörigenarbeit beruflich tätig und dort auch den beschrieben Spannungsmustern innerhalb von Heimstrukturen ausgesetzt sind, kann es eine nützliche Orientierungshilfe bieten. - Empfehlenswert.

Rezension von
Prof. Dr. Michael Brömse
Fachhochschule Hannover, Fakultät V (Diakonie, Gesundheit und Soziales)

Es gibt 35 Rezensionen von Michael Brömse.

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Zitiervorschlag
Michael Brömse. Rezension vom 17.12.2010 zu: Karin Wachter: Angehörigenarbeit durch SozialarbeiterInnen in Altenpflegeheimen. Luxus oder Notwendigkeit? WiKu-Verlag - Wissenschaftsverlag & Kulturedition (Köln) 2010. ISBN 978-3-86553-354-8. Reihe: Stone’s publishing Cologne. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9899.php, Datum des Zugriffs 02.11.2024.


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