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Silke Hubrig: Genderkompetenz in der Sozialpädagogik

Rezensiert von Prof. Dr. Melanie Plößer, 14.02.2011

Cover Silke Hubrig: Genderkompetenz in der Sozialpädagogik ISBN 978-3-427-05008-7

Silke Hubrig: Genderkompetenz in der Sozialpädagogik. Bildungsverlag EINS GmbH (Köln) 2010. 160 Seiten. ISBN 978-3-427-05008-7. 17,95 EUR.
Reihe: Ausbildung und Studium.

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Thema

Welche Rolle spielt das Geschlecht in der sozialpädagogischen Praxis der Kindergartenarbeit? Auf welchen Ebenen wird Geschlecht bedeutsam? Und wie kann eine gendersensible Kindergartenpädagogik aussehen? Auf diese Fragen sucht das Arbeitsbuch „Genderkompetenz in der Sozialpädagogik“ von Silke Hubrig theoretische wie auch praktische Antworten zu geben. Ziel der Verfasserin ist es dabei, „Bedeutung, Ziele und Prinzipien geschlechtsbewusster Pädagogik für Erzieherinnen in der Ausbildung zu vermitteln“ (S. 7).

Aufbau und Inhalt

Um die angehenden Erzieher und Erzieherinnen für die Genderthematik zu sensibilisieren und Grundlagen sowie Ansatzpunkte einer geschlechtsbewussten pädagogischen Arbeit vorzustellen, geht die Autorin in zwei Schritten vor. In einem ersten Zugang werden den Lesern und Leserinnen zentrale Erkenntnisse der Geschlechterforschung vermittelt, durch die die Bedeutsamkeit der Kategorie Geschlecht auf unterschiedlichsten Ebenen (Identität, Institution Kindergarten, Handlungen, unterschiedliche Sozialisationsinstanzen) herausgestellt wird. In einem zweiten Schritt werden grundlegende Ziele, Maximen und Methoden einer gendersensiblen Sozialpädagogik diskutiert. Das Buch erweist sich vom inhaltlichen wie auch vom formalen Aufbau explizit als Lehrbuch, genauer als Schulbuch für Erzieherinnen und Erzieher, konzipiert. So schließt jedes Kapitel mit zahlreichen Aufgaben, die in der Lerngruppe reflektiert, diskutiert oder gemeinsam bearbeitet werden sollen. Die Ausführungen und Aufgaben werden durch zahlreiche Fotos und Abbildungen ergänzt.

Inhalt

Nach einer allgemeinen Einführung, in der die Leserinnen und Leser über Ziele und Aufbau des Buches informiert werden, führt Hubrig im ersten Kapitel in die wesentlichen Merkmale einer „Kultur der Zweigeschlechtlichkeit“ ein. Neben der Bedeutung von Geschlecht auf individueller und gesellschaftlicher Ebene wird dabei der Kindergarten als „weiblich“ codierter Raum diskutiert.

In Kapitel 2 geht die Verfasserin der Frage nach, ob geschlechtsspezifische Verhaltensweisen angeboren oder anerzogen sind. Zur Beantwortung dieser Frage werden biologische Perspektiven wie auch sozialwissenschaftliche Ansätze vorgestellt. Vertiefend wird hier auf das für die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung bedeutsame Konzept des Doing Gender eingegangen. Zudem werden problematische Effekte geschlechtlicher Stereotypisierungen und heteronormativer Geschlechterordnungen aufgezeigt und diskutiert.

In Kapitel 3 wendet sich Hubrig der psychologischen Dimension von Geschlecht zu: Mit Rückgriff auf Erkenntnisse der Kognitions-, der Lern- und der Bindungstheorie werden zentrale Aspekte der Entwicklung von Geschlechtsidentitäten erläutert. Vor dem Hintergrund der kognitionspsychologischen Ansätze stellt die Verfasserin zunächst die jeweiligen Entwicklungsaufgaben in den Phasen „Krippenalter“, „Kindergartenalter“, „Grundschulalter“ und „Adoleszenz“ heraus. Nach einem kurzen Einblick in die Erkenntnisse der Lerntheorie zur Ausbildung von Geschlechterdifferenzen werden anschließend psychoanalytische Ansätze zur Entwicklung der Geschlechtsidentität vorgestellt. Das Kapitel endet mit einer Diskussion der aus der Erzieher und Erzieherinnenrolle resultierenden Vorbildfunktion für die Kinder und einer recht pathologisierenden Darstellung vermeintlicher „Störungen der Geschlechtsidentität“.

Kapitel 4 fokussiert die Bedeutung der Sozialisationsinstanzen bzw. Sozialisationsaspekte „Eltern“, „Peers“, „Geschwister“, „Medien“ und „Spielzeug“ für die Sozialisation von Mädchen und Jungen. Ihr besonderes Augenmerk richtet die Verfasserin dabei auf die Rolle von Bilderbüchern und Werbung im Rahmen der Sozialisation der Jungen und Mädchen und reflektiert deren stereotypisierenden und begrenzenden Effekte.

Vor diesem theoretischen Hintergrund werden in den nun folgenden fünf Kapiteln Perspektiven und Ansätze einer gendersensiblen Pädagogik vorgestellt.

Nach einer ersten allgemeinen Einführung, im Zuge derer die zentralen theoretischen Grundlagen einer geschlechtsbezogenen Pädagogik (Gleichheitsperspektive, Differenzorientierte Perspektive, konstruktivistische Perspektive) leider nur recht kurz umrissen werden, skizziert die Verfasserin Prinzipien und Ziele einer geschlechterbewussten Pädagogik.

In Kapitel 7 werden dann konkrete Vorschläge für die geschlechtsbewusste Gestaltung des Kindergartenalltags unterbreitet. Dazu werden konkrete Hinweise und Beispiele für eine gendersenible Gestaltung der Bereiche „Spiele und Spielen“, „Medien und Bilderbücher, „Bewegung, Musik und Rhythmus“ und „Sprache“ gegeben. In einem anschließenden Schritt werden Möglichkeiten zur Umsetzung einer geschlechtersensiblen Partizipation im Kindergarten aufgezeigt. Zugleich werden Hinweise für die geschlechtssensible Arbeit mit Kindern mit Migrationshintergund, die Elternarbeit und die Thematisierung von sexuellen Orientierungen, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen, gegeben.

In Kapitel 8 führt die Verfasserin in die Grundlagen und Ziele von Gender Mainstreaming ein und entwirft erste Ansatzmöglichkeiten für die Umsetzung dieser Strategie in der Kindergartenpädagogik. In dem abschließenden Kapitel wird das Konzept des geschlechtsbewusst arbeitenden Kindergartens „Fun & Care“ aus Wien vorgestellt, der sich die besondere Förderung von Mädchen und Jungen zum Ziel setzt.

Mit einem Quiz zum Thema „Geschlechtsidentität“, das im Anhang aufgeführt ist, können die Leserinnen und Leser des Buches abschließend ihre Kenntnisse gemeinsam überprüfen.

Diskussion

Bei dem Lehrbuch von Silke Hubrig handelt es sich um einen engagierte und anwendungsorientierte Einführung in die Gestaltung einer gendersensiblen Kindergartenpädagogik. Die Leser und Leserinnen werden für die Bedeutung der Genderthematik sensibilisiert. Gleichzeitig werden ihnen überzeugende Hinweise und Ansatzmöglichkeiten für die spätere Gestaltung eines gendersensiblen Kindergartens gegeben. Die zahlreichen Reflexions- und Gruppenaufgaben wie auch die Film-Tipps regen zum Überdenken eigener Genderstereotypen und zur Entwicklung neuer und vielfältiger Deutungs-, Handlungs- und Sprachmuster an. Obwohl die Verfasserin nun aber darauf abzielt, geschlechtertypisierende Deutungen und Praxen in Frage zu stellen und für eine Vervielfältigung von Genderdarstellungen und -rollen einzutreten, erweisen sich die Ausführungen bisweilen selber nicht frei von binären Zuordnungen und Gendernormen. So wird beispielsweise von einer „Störung der Geschlechtsidentität“ gesprochen, wenn ein Kind „eine extrem große Abneigung gegenüber Spielen, Spielzeug, Kleidung, Frisuren, Spielpartnern zeigt, die zu seinem Geschlecht gehören“ (S. 57). Oder bei der Thematisierung der geschlechtergerechten Elternarbeit wird dazu aufgefordert, an väterlichen Fähigkeiten, „wie etwa solchen aus dem handwerklichen Bereich“ (S. 133) anzuknüpfen. Die inhaltlichen Ausführungen erweisen sich damit als ambivalent. Auf der einen Seite werden überzeugende, da Geschlechternormen und -rollen reflektierende Hinweise (zum Beispiel zum Gebrauch der Sprache oder zur Änderung von Spielen) und anregende Reflexionsimpulse gegeben – auf der anderen Seite bleiben einige Ausführungen der binären und begrenzenden Geschlechterordnung verhaftet bzw. reproduzieren diese. Als nicht ganz unproblematisch erweisen sich auch die theoretischen Bezugnahmen des Lehrbuchs. Diese sind sehr umfangreich (biologische und sozialwissenschaftliche Ansätze zur Erklärung der Geschlechterdifferenz, psychologische Dimension der Geschlechtsidentität, geschlechtsspezifische Sozialisation), erweisen sich aber genau deshalb vielleicht auch als etwas „grob“ vereinfachend dargelegt. Zugleich werden zentrale Begründerinnen und Begründer von Theorien der Geschlechterforschung (wie dem Doing Gender Ansatz, der Heteronormativitätskritik oder der genderpädagogischen Perspektiven) nicht genannt. Erst gar keine Erwähnung finden Ansätze wie die der feministische Mädchenarbeit oder die Jungenarbeit, die die Entwicklung einer genderbewussten Pädagogik bis heute maßgeblich motiviert und beeinflusst haben. Die theoretischen Grundlagen erwiesen sich für Einsteigerinnen und Einsteiger in die Thematik als gut zugänglich. Gleichzeitig geht dieses aber etwas zu Lasten der Differenziertheit und der theoretischen Fundierung der Erkenntnisse der Geschlechterforschung. Etwas irritierend auch der Titel des Buches: Während das Feld der Sozialpädagogik ja recht breit ist und vielfältige Angebote der Kinder-, Jugend- und Bildungsarbeit umfasst, geht es in dem Buch allein um die Kindergartenarbeit.

Fazit

Es ist der Verdienst der Verfasserin ein erstes, gut zugängliches Lehrbuch für die gendersenible Kindergartenpädagogik vorzulegen, in dem sowohl gendertheoretische Grundlagen berücksichtigt wie auch viele handlungspraktische Ideen gegeben werden. Die Einführung in die Möglichkeiten einer geschlechtersensiblen Pädagogik überzeugt dabei insbesondere auf der Ebene der konkreten Reflexions- und Gestaltungsvorschläge. Auch wenn sich hier ab und an Stereotypisierungen einschleichen, können die Beispiele und Gestaltungshinweise als kreative und hilfreiche Impulse für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern verstanden werden. In den theoretischen Ausführungen schafft es der Band allerdings nicht immer, die eigenen Forderungen nach Reflexivität und Geschlechternormen einzuholen, sondern verbleibt bisweilen selber auf einer, die binäre Geschlechterordnung (re-)produzierenden, Ebene.

Rezension von
Prof. Dr. Melanie Plößer
Professorin am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Bielefeld
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Es gibt 7 Rezensionen von Melanie Plößer.

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ISSN 2190-9245