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Susanna Re: Erleben und Ausdruck von Emotionen bei schwerer Demenz

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 26.08.2003

Cover Susanna Re: Erleben und Ausdruck von Emotionen bei schwerer Demenz ISBN 978-3-8300-0944-3

Susanna Re: Erleben und Ausdruck von Emotionen bei schwerer Demenz. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2003. 302 Seiten. ISBN 978-3-8300-0944-3. 88,00 EUR.
Schriftenreihe Studien zur Gerontologie ; Bd. 5.

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Zur Thematik und Vorgeschichte des Buches

Bei Demenzkranken im schweren Stadium der Erkrankung ist das Sprachvermögen stark eingeschränkt. Sie können also nicht mehr mitteilen, wie sie sich fühlen, was sie bedrückt oder wovor sie Angst haben.

Besonders gefährlich wird dieses Unvermögen, wenn es um Schmerzzustände im Rahmen einer Akuterkrankung (Harnwegsinfekte u. a.) geht, die sie nicht mehr verbalisieren können.

Aus diesem Grunde ist es für die Pflege und Betreuung Demenzkranker besonders wichtig, aus dem nonverbalen Verhalten, der Mimik und Gestik, der Körpersprache und den Bewegungsabläufen Schlüsse über die innere Befindlichkeit der Betroffenen ziehen zu können.

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die Dissertation einer Diplom-Psychologin an der Universität Heidelberg.

Inhalt

Im ersten Kapitel werden übersichtsartig einige Grundlagen über dementielle Erkrankungen (u. a. Definition, Diagnostik, Psychopathologie) und Fakten zur Lage der Demenzkranken in den stationären Einrichtungen der Altenhilfe angeführt.

Das zweite Kapitel befasst sich mit der Thematik Emotion und Ausdruck im Alter.

So existieren gegenwärtig eine Vielzahl von Erklärungsansätzen unterschiedlichster Herkunft über die Funktion und Struktur der Emotionen im menschlichen Leben, von denen einige referiert werden. Des weiteren werden die verschiedenen Beurteilungsverfahren emotionalen Erlebens wie Selbst- und Fremdbeurteilungsskalen sowohl der Mimik als auch anderer emotionaler Ausdrucksformen vorgestellt. Die Darstellung empirischer Studien über Emotion und Ausdruck im Alter bilden eine weitere Thematik dieses Kapitels.

Kapitel 3 thematisiert Emotion und Ausdrucksverhalten bei Demenz vorwiegend mittels der Explikation der bisher vorliegenden Untersuchungen. Dabei werden auch die Aspekte verbales und tätlich aggressives Verhalten u. a. als emotionales Reaktionsverhalten auf nicht zu bewältigende Umwelteinwirkungen (Pflegehandlungen u. a.) beschrieben.

Kapitel 4 enthält Ziele und Fragestellungen der Untersuchung: Es geht um die Untersuchung emotionalen Erlebens und Ausdrucks bei Demenzkranken im schweren Stadium auf der Grundlage von Beurteilungen der Bezugspersonen und durch die Analyse des Verhaltens. Im Mittelpunkt stehen Fragestellungen, in welchem Ausmaß Demenzkranke in bestimmten Situationen mimisches Ausdrucksverhalten zeigen.

Im Kapitel 5 Datenerhebung werden die Probanden und die einzelnen Aspekte der Untersuchung dargestellt. In drei Alten- und Pflegeheimen in Rheinland-Pfalz und im Saarland wurden im ersten Halbjahr 2001 28 Bewohnerinnen mit mittelschweren oder schweren Demenzerkrankungen ausgesucht, wobei für die Verhaltensbeobachtung nur neun Bewohnerinnen im schwerem Demenzstadium in die Untersuchung einbezogen wurden. Die Bewohnerinnen wurden in bestimmten Situationen (Alltagssituation, Wohlbefinden, Ärger, Freude und Traurigkeit) mittels Video gefilmt. Diese meist kurzen Videosequenzen bildeten das Untersuchungsmaterial für die anschließende Verhaltensanalyse.

Kapitel 6 Untersuchungs- und Auswertungsmethoden beinhaltet die Beschreibung der eingesetzten Untersuchungs- und Erhebungsverfahren: Demenzscreening (Mini-Mental-State von Folstein, Folstein & McHugh 1975), psychiatrische Anamnese u. a. und das FACS (Facial Action Coding System von Ekman & Friesen, 1978) zur Analyse und Bewertung des mimischen Verhaltens.

Im Kapitel 7 werden die Ergebnisse der Auswertung der auf Video aufgenommenen mimischen Verhaltenssequenzen für die neun Probandinnen ausführlich beschrieben und erläutert.

Das abschließende Kapitel 8 enthält die Diskussion der Ergebnisse und eine kurze Zusammenfassung. Die Untersuchung ergab u. a., dass die Beurteilung der Pflegekräfte hinsichtlich der emotionalen Wertigkeit des mimischen Verhaltens stark mit den Ergebnissen des FACS übereinstimmte.

Es konnte auch nachgewiesen werden, dass die Demenzkranken bei Interaktionen sowohl in der Gruppe als auch bei Einzelkontakten mit Pflegekräften Anzeichen von Überforderung in ihrem Ausdruck zeigten.

Kritische Würdigung

In der Untersuchung wurden die mimischen Reaktionen Demenzkranker in verschiedenen Konstellationen (u. a. allein, in der Gruppe, bei einer Interaktion mit einer Pflegekraft) dokumentiert und analysiert. Es zeigte sich, dass die Probanden hierbei ein äußerst spärliches Mienenspiel an den Tag legten.

Leider geht aus der Erhebung nicht hervor, ob das soziale Milieu und die Interaktionsformen der Pflegekräfte demenzspezifisch gestaltet waren. Es wirkt schon etwas befremdlich, wenn Bewohner mit schweren kognitiven Einbußen an einem Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel und an einer Gedächtnistrainings-Sitzung teilnehmen. Dass sie hierbei mit Überforderungsverhalten und Symptomen der Teilnahmslosigkeit reagieren, erscheint nicht allzu verwunderlich. Es muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass die drei Einrichtungen der Untersuchung integrativ geführt werden im Sinne der gemeinsamen Pflege und Betreuung von Demenzkranken und kognitiv nicht beeinträchtigten Bewohnern.

Erstaunlich hoch ist die Zahl der Probanden in dieser Untersuchung, bei denen Widerstand und Ablehnung der Pflege festgestellt wurden. Dies kann als Indiz für unzureichende Pflegekompetenz der Mitarbeiter interpretiert werden, denen es vielleicht nicht gelungen ist, eine tragbare und vertrauensvolle Beziehung zu den demenzkranken Bewohnern hergestellt zu haben. Leider werden in dem Bericht hierzu keinerlei Aussagen gemacht.

Das Fehlen der Analyse und Interpretation der interaktiven und sozialen Milieufaktoren unter dem Aspekt der Angemessenheit bezüglich demenzspezifischer und demenzsensibler Vorgehensweisen erschweren eine Interpretation der Untersuchungsergebnisse.

Fazit

Die Resultate der vorliegenden Untersuchung besitzen aufgrund der Nichtbeachtung intervenierender Variablen einen begrenzten Aussagewert sowohl für die Forschung als auch für die Praxis in den Einrichtungen der stationären Altenhilfe.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Es gibt 224 Rezensionen von Sven Lind.

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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 26.08.2003 zu: Susanna Re: Erleben und Ausdruck von Emotionen bei schwerer Demenz. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2003. ISBN 978-3-8300-0944-3. Schriftenreihe Studien zur Gerontologie ; Bd. 5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/993.php, Datum des Zugriffs 28.11.2023.


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