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Andrea Tabatt-Hirschfeldt: Leistungsorientierung in der Kommunalverwaltung

Rezensiert von Prof. Dr. Georg Kortendieck, 21.07.2010

Cover Andrea Tabatt-Hirschfeldt: Leistungsorientierung in der Kommunalverwaltung ISBN 978-3-940562-14-2

Andrea Tabatt-Hirschfeldt: Leistungsorientierung in der Kommunalverwaltung. Chancen - Hindernisse - Wirkung. ZIEL Verlag (Augsburg) 2009. 427 Seiten. ISBN 978-3-940562-14-2. D: 36,80 EUR, A: 25,50 EUR, CH: 44,00 sFr.
Blaue Reihe - SozialWirtschaft Diskurs.

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Thema

Was bedeutet Leistungsorientierung in der öffentlichen Verwaltung? Welche Faktoren begünstigen Leistungsorientierung, welche hemmen sie? Dieser Frage ging Andrea Tabatt-Hirschfeldt in ihrer Dissertation nach, in dem sie die Leistungsorientierung vor dem Hintergrund der Rechtsgrundlagen, der Organisationskultur und der Gemeinwohlorientierung betrachtet. Wie wichtig dieses Thema ist, zeigt sich zum einen an der Implementierung der Leistungsorientierung im neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (Binnenwirkung) und zum anderen an der Diskussion um die Verschlankung der kommunalen Verwaltung angesichts immer größer werdender Defizite (Außenwirkung).

Autorin

Andrea Tabatt-Hirschfeldt kennt die Strukturen der Kommunalverwaltung durch ihre Arbeit als Sozialarbeiterin/-pädagogin bei der Stadt Braunschweig, bei der sie von 1992 bis 2009 beschäftigt war. Seit 2009 ist sie Professorin für Organisationslehre, Sozialwirtschaft und Sozialmanagement an der Fachhochschule Coburg (Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit).

Entstehungshintergrund

Wie nähert man sich dem komplexen Feld der Leistungsorientierung in der Kommunalverwaltung? Welche Chancen und Hindernisse ergeben sich für eine wirksame Leistungsorientierung in Kommunalverwaltungen? Die Arbeit beruht zum einen auf der Modellierung eines sehr komplexen Modells zur Analyse der Leistungsorientierung, zum anderen auf einer qualitativen Studie, die die Kommunen Gütersloh (Nordrhein-Westfalen) und Osnabrück (Niedersachsen) miteinander vergleicht. Auf der Basis der Auswertung von 23 Interviews und 48 internen Schriftstücken sowie einer umfassenden Literaturstudie leitet Tabatt-Hirschfeldt insgesamt 118 Indikatoren ab, die positive oder negative Einflüsse auf kommunale Leistungen haben. Unterschieden werden die Indikatoren in ihrer Wirksamkeit in der Tiefe – dies meint die Qualität der erbrachten Leistungen - und in der Breite (Kompatibilität mit anderen Instrumenten der Verwaltungsmodernisierung).

Aufbau und Inhalt

Einleitend wird der Stand der aktuellen Forschung und das eigene Forschungsinteresse, die Ableitung von Wirkungsindikatoren und die Prüfung, in wieweit sie zusammenwirken und was ihre Wirkung befördert oder hemmt, vorgestellt. Unter Leistungsorientierung werden „all jene kommunalen Bemühungen der Verbesserung äußerer (Organisationsebene) wie innerer (MitarbeiterInnenebene) Faktoren verstanden, die sich output- wie outcomeorientiert auf eine qualitative Verbesserung von Ergebnissen und Prozessen richten sowie auf deren Vernetzung“ (S. 22).

2. und 3. Kapitel: Der Bezugsrahmen: zeigt die der komplexen Themenstellung gerecht werdende theoretische Basis auf, die sich vom Konzept des Beyond Budgeting erstreckt, einem Konzept, das Abschied nimmt von dem in der öffentlichen Verwaltung wie zahlreichen Unternehmen herrschenden Prinzip der (starren) Budgetierung und von einer flexiblen Alimentierung dezentraler Entscheidungen ausgeht, über das Konzept der lernenden Organisation von Argyris und Schön, bis hin zum normativen Konzept der Good Governance. Dabei werden Markt und Hierarchie nicht mehr als konkurrierende Koordinationsmechanismen wahrgenommen, sondern mit einander verknüpft. Vor allem kommt der Netzwerkstruktur und seiner Steuerungsmöglichkeiten durch Partizipation der Bürger eine besondere Rolle in dem Modell von Tabatt-Hirschfeldt zu. Der bürokratischen Steuerung wird dadurch zum Teil eine Absage erteilt, weil zumindest teilweise kommunale Leistungen nur noch bzw. besser in einem Netzwerk von Kommune und seinen Stakeholdern erbracht werden können. Die Leistungserstellung kommunaler Verwaltungen werden nach Meinung der Verfasserin nur unzureichend über lineare Ursache-Wirkungszusammenhänge wiedergeben. Um auf der Basis der rezipierten Modelle der Rationalität ökonomischer, bürokratischer und politischer Ansprüche gerecht zu werden, entwirft Tabatt-Hirschfeldt ein eigenes Modell, dass im vierten Kapitel die weitere Untersuchung leitet.

4. Kapitel: Systematik des kommunalen Leistungserstellungsprozesses: Das entworfene Modell greift als übergeordnete Faktoren die Rechtsgrundlagen (Dienstrecht, Tarifrecht und Beteiligungsrechte), die Gemeinwohlorientierung als zentrales Element mit den Ausprägungen soziale Ausgeglichenheit und Nachhaltigkeit, die Organisationskultur als Vertrauens- und Anerkennungskultur sowie die Organisationsstruktur als Netzwerkorganisation auf. Diese übergeordnete Faktoren bergen sowohl Chancen als auch Hindernisse und müssen sowohl in der Binnenstruktur der öffentlichen Verwaltung als auch in ihrer Außenwirkung auf die verschiedenen Stakeholder berücksichtigt werden. Eine hohe Leistungsorientierung impliziert einen permanenten Lernprozess und muss mit anderen Faktoren der Verwaltungsmodernisierung ineinander greifen (Breitenwirkung). Die Ziele der Verwaltung, die die Leistungen bestimmen, werden dabei von harten Faktoren wie den ermittelten Zahlen und Vorgaben aus der Kosten-Leistungsrechnung und dem Vergleich zwischen den Kommunen über Benchmarkingringe mitbestimmt. Gleichzeitig wirken auf die Leistungserfüllung aber auch weiche Faktoren wie die Motivation, materielle wie immaterielle Anreize und nicht zuletzt die Führung durch Vorgesetzte. Anhand des komplexen Modells leitet die Verfasserin eine Fülle von Leistungsindikatoren ab, die bei der Leistungsorientierung eine Rolle spielen können und sich gegenseitig beeinflussen (im Anhang werden diese zusammengefasst und umfassend dargestellt).

Dies macht es erforderlich sich detailliert mit unterschiedlichsten Zusammenhängen wie Tarifrecht, Leistungsbeurteilungsverfahren, Motivationstheorien und Controllingansätzen auseinanderzusetzen. Eine differenzierte Beurteilung der Leistungsorientierung ohne Berücksichtigung der Bürger und die unterschiedlichen Rationalitäten von Parteipolitik und Verwaltung darf ebenfalls erwartet werden. Hierzu leitet Tabatt-Hirschfeldt positiv wie negativ wirkende Faktoren ab. Hindernisse sieht sie bspw. in dem unterschiedlichen Dienstrecht und damit den unterschiedlichen Beurteilungsmaßstäben für Angestellte und Beamte. Leistungsorientierte Bezahlungen, wie der TVöD sie vorsieht, hat seine Grenzen in seiner Motivationswirkung, in der fehlenden Leistungsdefinition und in der schwierigen Wirkungsmessung. Zudem kann eine leistungsorientierte Bezahlung die intrinsische Motivation gefährden und damit kontraproduktiv die Leistungsorientierung konterkarieren. Leistungsbeurteilungen sind zudem nicht fehlerfrei. Vorgesetzte neigen aus Gründen der Harmonie zu Wohlgefälligkeitsurteilen.

Die Gemeinwohlorientierung stellt bei Tabatt-Hirschfeldt eine zentrale Komponente dar, die sich in sozialer Ausgeglichenheit und Nachhaltigkeit wiederspiegelt. Aus ihr leiten sich letztlich die Ziele der Verwaltung und damit die Kriterien der Leistungsmessung ab. Sie sieht dabei den Bürger nicht als (passiven) Kunden, wie es die KGSt. als Leitmaxime vor Augen hat, sondern zusätzlich Mitgestalter und Auftraggeber, der mit der Verwaltung kooperiert. Die Produktion öffentlicher Güter und damit die kommunale Leistung erfolgt deshalb nicht mehr innerhalb der Verwaltung allein, sondern unter Partizipation der Bürger in einem Netzwerk aus Verwaltungseinheiten und den verschiedenen Formen bürgerschaftlichen Engagements, was es wiederum von der Kommune zu unterstützen gilt. Das setzt neue Strukturen der Kommunalverwaltung voraus, die sich bspw. in einer zentralen Back-Office und einer dezentralen Front-Office-Struktur niederschlagen könnte (Kap. 4.1.3.2.). Unterstützend können dabei die immer stärker auftretenden Formen des eGovernments wirken.

Solche Ansätze sind zwar zum Teil schon vorhanden, flächendeckend ist aber nur mit ihnen zu rechnen, wenn sich die Organisationskultur wandelt und damit über Lernprozesse auch die Führungsstruktur. Förderlich sind hierbei Schulungen der Führungskräfte in Fragen der Mitarbeitermotivation, Leistungsbeurteilung und Partizipation. Wo dies nicht der Fall ist, treten hierarchisch-bürokratische Verhaltensweisen eher als Hindernisse zu einer Leistungsorientierung auf. (Kap. 4.1.4.). Hinderlich ist auch, wenn die Ziele und damit die Festlegung von Leistungsanforderungen nicht konkret sind. Allerdings sieht die Verfasserin hier auch deutliche Grenzen. Zwar mag es noch leicht sein, Ziele zu bestimmen, die Zielerfüllung zu messen stößt aber sehr schnell an Grenzen, wenn es um die Frage der Wirksamkeit und damit die Zuordnung von Leistung geht. Die Herunterbrechung von operativen Zielen auf Mitarbeiterebene wie etwa kundenfreundliche Öffnungszeiten einzuführen (S. 222) ist hierbei allerdings wiederum förderlich. Das hierbei Double-Binds auftreten ist jedoch kein Phänomen öffentlicher Verwaltung (längere Öffnungszeiten als Ausdruck der Kundenfreundlichkeit vs. Motivation der Mitarbeiter), sondern in jedem Unternehmen ein Problem, das aus den unterschiedlichen Zielvorstellungen der Beteiligten heraus resultiert (hier ist der Verfasserin zu widersprechen, S. 294 f.). Ob es deshalb sinnvoll ist, Konkurrenz unter den Mitarbeitern zu vermeiden oder die Entkopplung der leistungsgerechten Bezahlung von der den erreichten Zielen anzustreben kann man auch kontrovers diskutieren. Zweifellos haben wirksame Instrumente auch immer Nebenwirkungen. Besonders schwierig zu Händeln dürfte auch die von der Verfasserin geforderte relative Leistungsmessung im Nachhinein sein (S. 237), weil sie willkürlicher Machtausübung Vorschub leisten dürfte.

Im 5. Kapitel leitet die Verfasserin aus ihren komplexen und der Problematik stets gerecht werdenden Analyse vier Hypothesen über kommunale Leistungsorientierung ab, die vielleicht manchen Leser in Folge ihrer vagen Formulierungen enttäuschen mögen, aber der Wissenschaftlichkeit umso eher gerecht werden: Leistungsorientierung ist dann zu erwarten, wenn die Personal- und Organisationsentwicklung in Bezug auf die Rechtsgrundlagen, Gemeinwohlorientierung, einer gelebten Vertrauenskultur und einer vernetzten Organisation mit den Bürgern ausgerichtet ist. Besonderer Bedeutung kommt der Vernetzung von Gemeinwohlorientierung und Organisationskultur zu, d.h. je mehr man „Störungen“ durch die Partizipation des Bürgers zu lässt, um so eher werden Lernprozesse in Gang gesetzt, um so größer wird die Leistungsorientierung.

Fazit

Andrea Tabatt-Hirschfeldt liefert einen qualitativ wie quantitativ beeindruckenden, aktuellen Überblick über den Stand der Verwaltungsreform der Kommunen. Die Arbeit ist vielschichtig angelegt und verhindert so eindimensionale Betrachtungsweisen, wie sie der öffentlichen Verwaltung in der Forderung nach mehr Leistung immer wieder entgegengebracht werden. Die Diskussion ist nichts für den schnellen Leser, sondern fordert zum Nachdenken und Mitdiskutieren geradezu heraus. Die Arbeit ist sehr praxisbezogen, aber kein „Kochbuch“ oder „to do Buch“ für Praktiker. Es handelt sich somit um eine wissenschaftliche Analyse im besten Sinne, das nicht mit bewiesenen Wahrheiten sondern folgerichtig mit vorsichtigen Hypothesen endet. Ein sehr anregendes Buch.

Rezension von
Prof. Dr. Georg Kortendieck
Diplom-Volkswirt, Dekan Fakultät Soziale Arbeit, Ostfalia Hochschule Braunschweig-Wolfenbüttel, Langjähriger Leiter mehrerer Bildungsträger, Professor für Betriebswirtschaftslehre im Sozialen Bereich
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Zitiervorschlag
Georg Kortendieck. Rezension vom 21.07.2010 zu: Andrea Tabatt-Hirschfeldt: Leistungsorientierung in der Kommunalverwaltung. Chancen - Hindernisse - Wirkung. ZIEL Verlag (Augsburg) 2009. ISBN 978-3-940562-14-2. Blaue Reihe - SozialWirtschaft Diskurs. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9942.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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