Ansgar Drücker, Yasmine Chehata u.a. (Hrsg.): Leitfaden InterKulturell on Tour
Rezensiert von Prof. Dr. Astrid Hübner, 21.12.2011

Ansgar Drücker, Yasmine Chehata, Birgit Jagusch, Ahmet Sinoplu, Mehmet Ata (Hrsg.): Leitfaden InterKulturell on Tour. Internationale Jugendbegegnungen - Schauplatz neuer Kooperationen zwischen Migrantenjugend(selbst)organisationen und Internationaler Jugendarbeit. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2010. 368 Seiten. ISBN 978-3-89974-618-1. 19,80 EUR.
Thema
Mit der Teilnahme an Internationalen Jugendbegegnungen sind positive und langfristige Wirkungen verbunden, vor allem im Bereich der Lern- und Kompetenzzuwächse; Entwicklungsaufgaben, insbesondere im Jugendalter, werden befördert. Interkulturelles Lernen findet hier eine spezifische Rahmung.
In diesem Feld finden sich besondere Optionen für eine ressourcenorientierte Arbeit mit jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Diese sind als Teilnehmer/innen bzw. Migrantenjugend(selbst)organisationen in der Internationalen Jugendarbeit jedoch nach wie vor noch unterrepräsentiert. Hier setzt die vorliegende Publikation an.
Entstehungshintergrund
Das Buch verweist auf Ergebnisse und Erfahrungen des Projektes „InterKulturell on Tour“, das von September 2007 bis Dezember 2009 von sechs Projektträgern initiiert wurde. Im Mittelpunkt standen verschiedene Internationale Jugendbegegnungsmaßnahmen, die u.a. dem Aufbau von Netzwerken zwischen Verbänden/Vereinen der Internationalen Jugendarbeit und Migrantenjugend(selbst)organisationen dienten. Im Projekt wurde die interkulturelle Öffnung der Internationalen Jugendarbeit durch die Initiierung von Tandems erprobt. Jugendbegegnungen wurden gemeinsam durch einen im Jugendhilfesystem etablierten Träger mit Erfahrung im Internationalen Jugendaustausch und einer in diesem Bereich unerfahrenen Migrantenjugend(selbst)organisation gemeinsam geplant, durchgeführt und ausgewertet. Ein Ergebnis dieser Initiativen ist der von Ansgar Drücker (Bundesgeschäftsführer der Naturfreundejugend Deutschland e.V.), Yasmine Chehata (wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kindheit, Familie, Jugend und Erwachsene an der FH Köln), Birgit Jagusch (Referentin des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit e.V.), Katrin Riß (wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte am Institut für Kindheit, Familie, Jugend und Erwachsene an der FH Köln) und Ahmet Sinoplu (Bildungsreferent bei transfer e.V.) herausgegebene Leitfaden, den es hier zu besprechen gilt. Die Herausgeber/innen haben in verantwortlichen Funktionen das Projekt konzipiert, gesteuert, evaluiert und dokumentiert .
Aufbau und Inhalte
Der Leitfaden ist in sechs Kapitel unterteilt.
Einleitend skizziert Ansgar Drücker die Ausgangslage des Projektes unter Rückbezug auf zentrale Diskurse über gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Menschen mit Migrationshintergrund bzw. einschlägige Auseinandersetzungen über Interkulturelle Pädagogik.
Im ersten Kapitel stellt Birgit Jagusch die Migrantenjugend(selbst)organisationen vor. Die Autorin begründet im Projektzusammenhang den gleichwertigen Einbezug von Organisationen, die für und mit jungen Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten und Migrantenjugend(selbst)organisationen, als eigenständige Vereine junger Menschen mit Migrationshintergrund. Jagusch verweist auf die Entstehungsbedingungen der Migrantenjugend(selbst)organisationen, gibt einen Überblick über die Vereinslandschaft und systematisiert einzelne Vereinsziele und Aktionsradien. Dabei verweist sie insbesondere auf die spezifischen rechtlichen Grundlagen von Ausländervereinen und die erschwerten Bedingungen und Konsequenzen für Personen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit als Vorstandsmitglieder respektive Mitglieder in Vereinszusammenhängen zu agieren. Sie legt differenziert nicht nur die breite Palette, sondern auch die komplexen Strukturen, inhaltlichen Ausrichtungen und das Selbstverständnis der Migrantenjugend(selbst)organisationen dar.
Im zweiten Kapitel erfolgt eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Thematik der interkulturellen Öffnung im Praxisfeld der Internationalen Jugendarbeit durch die Autorinnen Yasmine Chehata und Katrin Riß. Sie beschreiben die spezifischen strukturellen Vorrausetzungen des Lern- und Entwicklungsfeldes Internationale Jugendarbeit und die damit verbundenen besonderen Optionen für die interkulturelle Öffnung. Ergänzend verweist Ansgar Drücker in diesem Zusammenhang exemplarisch auf die interkulturelle Öffnung der Jugendverbände der letzten Jahre und rekonstruiert die zentralen Diskussionen, die u.a vom Deutschen Bundesjugendring und vom Netzwerk interkulturelle Jugendverbandsarbeit und -forschung (NiJaF) geführt wurden.
Das dritte Kapitel widmet sich dem Feld der Internationalen Jugendarbeit. Hier werden sowohl die Vielgestalt als auch wichtige Grundprinzipien des Praxisfeldes aufgezeigt; ebenso werden Träger und Förderstrukturen dargelegt. Ansgar Drücker gibt praxisnahe Tipps für die Antragstellung und verweist auf trägerübergreifende Beratungsangebote. Die Darlegung eines idealtypischen Verlaufes der Förderung einer Internationalen Jugendbegegnung aus Mitteln des Kinder- und Jugendplanes wird in chronologischer Abfolge exemplarisch vorgestellt.
Kapitel 4 widmet sich der Dokumentation der zehn Einzelprojekte (neun internationale Jugendbegegnungen und eine Kinder- und Jugendreise), die im Rahmen des Projektes „InterKulturell on Tour“ verfolgt wurden. Die konkreten Maßnahmen werden in ihren strukturellen Rahmenbedingungen (Zeitraum/ Ort, Teilnehmer/innen, Format, Förderung), Zielsetzungen und zentralen Erfahrungen dargestellt. Zudem wird eine Bewertung des Gesamtprojektes vollzogen, dazu werden u.a. die Ergebnisse verschiedener Konferenzen, die Auswertungstreffen der Projektbeteiligten und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung herangezogen.
In Kapitel 5 werden ausgewählte Themen aufgegriffen, die in der Vor-/Nachbereitung bzw. bei der Durchführung der Projekte Relevanz erlangten. Die Autor/innen Mehmet Ata, Yasmine Chehata, Ansgar Drücker, Katrin Riß und Ahmet Sinoplu verfolgen essayistisch in Kurzartikeln eine Sensibilisierung, wie sie selbst formulieren, für Themen wie beispielsweise „Die Bedeutung von Einzelpersonen“, „Einbeziehung der Eltern“, „Die Verbindlichkeit von Absprachen und Vereinbarungen“, „Sprachkenntnisse zwischen Ressource und Zumutung“.
Im Kapitel 6 wird abschließend der mögliche Beitrag der Internationalen Jugendarbeit zur interkulturellen Öffnung skizziert und zentrale Aussagen resümiert; insbesondere werden Integrationspotenziale, die sich für die Internationale Jugendarbeit bzw. für die Migrantenjugend (selbst)organisationen im Projektverlauf ergeben haben, beleuchtet und bewertet. Die Themen und Entwicklungen, die sich in den Kooperation zeigten, welche Gelingensfaktoren und Hürden es in der Kooperation gab und welche Prozesse gegenseitigen Lernens flankiert wurden, werden zusammen geführt.
Diskussion und Fazit
Es handelt sich bei der vorliegenden Publikation um einen hervorragenden Leitfaden für Praktiker/innen, die beabsichtigen Projekte ähnlichen Zuschnittes zu planen und durchzuführen. Ein Ratgeber, der insbesondere für Migrantenjugend(selbst)organisationen und andere Träger, die Internationale Jugendbegegnungen durchführen möchten, Informationen zu Planung, Förderung und Durchführung von Projekten zusammenstellt und kommentiert. Die Informationen zu Kooperationspartner/innen und Beratungsstellen, die Checklisten zur Vorbereitung, Beantragung, Durchführung, Abrechnung und Nachbereitung von Projekten im In- und Ausland und die konkreten Tipps zu Reisevorbereitung und -durchführung dürften insbesondere hilfreich und unterstützend für Multiplikatoren der Jugend- und Erwachsenenbildung bzw. der Interkulturellen Arbeit sein. Das breit angelegte Glossar zum Thema Migration und Internationale Jugendarbeit bietet zudem einen fundierten und gut strukturierten Überblick; die kommentierte Auswahl an Literatur und Webseiten ist einschlägig, aktuell und flankiert die Möglichkeit einer fundierten, weitergehenden Auseinandersetzung. Die Konzeption des Buches als orientierender Leitfaden bzw. Ratgeber überzeugt durch inhaltliche Dichte und strukturierte Aufarbeitung der Praxiserfahrungen von der Projektidee über die -durchführung bis hin zur -evaluation. Wissenschaftliche Bezüge finden sich hingegen eher rudimentär und spielen vorrangig zumeist im Begründungszusammenhang des Projektes eine Rolle. Auch hätte der/die Leser/in strukturierter durch das Buch geführt werden können: Hinweise zum Aufbau und ggf. zur Nutzung des Buches durch das Autor/innenteam wären hilfreich gewesen. Auch Kapiteleinführungen zum Aufbau der einzelnen Unterkapitel wären eine gute Strukturierungshilfe gewesen. Nichtsdestotrotz hält das Buch das, was es verspricht: ein gelungener Leitfaden für die berufliche und professionelle Praxis.
Rezension von
Prof. Dr. Astrid Hübner
Hochschule Emden/Leer, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit
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Es gibt 2 Rezensionen von Astrid Hübner.
Zitiervorschlag
Astrid Hübner. Rezension vom 21.12.2011 zu:
Ansgar Drücker, Yasmine Chehata, Birgit Jagusch, Ahmet Sinoplu, Mehmet Ata (Hrsg.): Leitfaden InterKulturell on Tour. Internationale Jugendbegegnungen - Schauplatz neuer Kooperationen zwischen Migrantenjugend(selbst)organisationen und Internationaler Jugendarbeit. Wochenschau Verlag
(Frankfurt am Main) 2010.
ISBN 978-3-89974-618-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/9978.php, Datum des Zugriffs 31.03.2023.
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